Mozart - Sein Leben und Schaffen
Richtung in dieser italienischen Opera seria zugeführt wurde und bedauern, daß diese neuneapolitanische Schule in der Wucht des dramatischen Ausdrucks, dem Ernst des Vortrags und der gesamten Auffassung keinen Vergleich mit der älteren Opera seria aushält. Auch der »Idomeneus« liegt streng genommen noch vor Mozarts Reife zum Mann. Es ist wahr, daß Mozart damals den Kern der Opernreform Glucks nicht erfaßt hat, daß er Gluck selber nur musikalisch sich nutzbar machte. Aber diese Erkenntnis des Tiefsten in Glucks Neuerung lag auch jenseits des damaligen Geistes- und Seelenzustandes Mozarts, so frühreif dieser auch gewesen ist. Die Betonung der psychologischen Entwicklung in Glucks Werken konnte den Zeitgenossen auch nicht in dem Maße als das Wichtige erscheinen wie uns Späteren, wie denn auch alle Glucks Reformwerk hauptsächlich nach seinem Verhältnis zur Musik beurteilten. Dann aber haben wir ja bereits in früheren Ausführungen erkannt, wie ganz anders geartet Mozarts Natur war, wie diese ihn zu jenem ungeheuren Fortschritt führte, daß er die Schranken zwischen Opera seria und Opera buffa in Shakespearescher Art niederlegte. So blieben also als Leistungen des reifen Meisters nur »Figaro« und »Don Juan« zum Vergleich, und diese können aus früher dargelegten Gründen nicht als eigentliche italienische Opern gelten.
Daß Mozart imstande gewesen wäre, tragische Opern zu schaffen, kann niemand bezweifeln, der die tragischen Akzente aus Don Juan und Zauberflöte vernommen hat. Im übrigen bestreitet Kretzschmar ja auch keineswegs diese Fähigkeit Mozarts. Worauf es ihm ankommt, ist, der allgemein üblichen Darstellung entgegenzutreten, wonachMozarts erste italienische Opern »die Tradition einer langen Entwicklung zum Abschluß gebracht hätten«. Es geschieht Mozart kein Unrecht, wenn man feststellt, daß es nicht wahr ist, daß er in der Opera seria das Höchste geleistet habe, was der italienische Stil überhaupt zuließ. Wir erkennen beim »Titus« bei aller Raschheit, mit der er geschaffen ist, vielmehr, daß Mozart aus diesem ganzen Stil herausgewachsen war. Wir dürfen sicher sein, daß, wenn es ihm das Schicksal vergönnt hätte, noch mehr tragische Opern in italienischer Sprache zu schaffen, sie ebensowenig wirklich italienisch gewesen wären, wie seine Meisteropern komischen Inhalts.
Wie wenig Mozarts »Figaro« und »Don Juan« im innersten Wesen italienisch sind, haben wir bereits zu Eingang dieses Kapitels ausgeführt. Daran ändert die Tatsache nichts, daß in hundert Einzelzügen der Melodiebildung große Ähnlichkeiten mit Italienern zutage treten. Das bringt die Gleichheit der Sprache und die Einstellung auch des größten Meisters in die Gesamtentwicklung der Kunst mit sich. Mozart ist keineswegs überall neu, und er selber hat die Meister der italienischen komischen Oper sehr hoch geschätzt. Alles das ist aber nur wenig im Vergleich zur Tatsache, daß der ganze Geist dieser Opern Mozarts ein von jenen Italienern grundverschiedener ist. Daß gerade Italien diese Meisterwerke um des »fremden Geistes« willen ablehnte, haben wir bereits betont. Als Gegengewicht gegen jene formalen Beziehungen Mozarts zu italienischen Vorbildern steht dann hier seine Einwirkung auf die späteren Italiener. Auch für diese hat Kretzschmar aus dem einzigartigen Schatze seines Wissens zahlreiche Belege beigebracht. Rein musikalisch zeigt sie sich bereits bei Cimarosa und Righini. Cherubini und Spontini bezeugen dann, daß man von Mozart vor allem den Ausdruck der edlen Gefühle, des tiefen Empfindens lernte. Bei Rossini wird das ganz offenbar, und es reicht bis in Donizettis Zeit. Sodann hat das Mozartische Orchester die Italiener stark beeinflußt, vor allen Dingen seine Verwendung der Bläser. Die von Mozart erschlossene Schönheit dieser Instrumentengruppe führt von den ersten Musikdramen Rossinis über die große Oper Meyerbeers und Spontinisbis in die Musikdramen Richard Wagners. Bei diesem, wenn auch in unendlich vergrößertem Maßstabe, erscheinen sie aus dem großen Effektmittel umgewandelt zum Ausdruck tiefsten Empfindens, so wie es bei Mozart gewesen war.
15. Zum frühen Ende
Am 11. März 1828 sagte Goethe zu Eckermann: »überhaupt werden Sie finden, daß im mittleren Leben eines Menschen häufig eine Wendung eintritt, und daß, wie ihn in seiner Jugend alles begünstigte und alles ihm glückte, nun mit einemmal alles ganz anders wird, und ein Anfall und ein Mißgeschick sich auf das
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