Mr. Fire und ich, Band 4 (German Edition)
Erklärungen zu lassen. Das wird wohl diesmal ein kurzes Wiedersehen. Ich habe größte Lust, ihm zu sagen, dass man so nicht mit seinem Vater spricht, aber wer bin ich, über ihn zu richten? Wie mir Daniel unmissverständlich klar gemacht hat, weiß ich nicht, wovon ich rede.
Daniel steuert auf die Tür zu.
„Kommen Sie, Julia, wir gehen.“
Schon wieder ein Imperativ. Dieser Abend scheint kompliziert zu werden.
2. Eine Frage zu viel
Wir gehen hinunter zum Auto. Ray öffnet mir die Wagentür, sobald er uns kommen sieht. Es ist noch nicht spät, aber die Luft ist kühl geworden. Ich habe nur die Zeit gehabt, meine Tasche mitzunehmen, und denke mir, dass eine Jacke auch nicht schlecht gewesen wäre. Mir ist kalt.
Der Motor brummt, ich kuschle mich eng an Daniel, der mich in seinen Armen hält. Ihm scheint noch immer sein kurzes Telefonat durch den Kopf zu gehen. Ich hoffe, dass ihn dieser Abend auf andere Gedanken bringt.
Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie wir auf der Terrasse eines kleinen Restaurants unter den Sternen sitzen. Wir sind zu zweit bei gedämpfter Musik und Daniels Augen blitzen verführerisch im Kerzenlicht. Grüne Ranken umgeben uns. Nur wir beide, ganz allein auf der Welt. Die Wärme seiner Hand auf meiner entfacht in mir die Lust auf weitere heiße Nächte.
„Richten Sie sich wieder auf, Julia, wir sind angekommen.“
Sobald wir durch die Tür schreiten, werde ich von dem künstlichen Licht schwerer Kristallleuchter geblendet. Überall um uns herum herrschen sich die Leute an und sprechen laut in verschiedenen Sprachen, hauptsächlich auf Englisch. Ich kenne dieses Umfeld, in New York habe ich es sechs Monate lang beobachtet. Mit einem Mal habe ich wieder das Gefühl, die kleine Telefonistin hinter der Theke zu sein. Zu dumm, dass ich mich nicht umgezogen habe. Ich sehe nicht mondän genug aus, um glaubwürdig zu wirken. Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut und senke den Blick.
Der Chef de Rang hat Daniel erkannt und kommt mit geschäftiger Miene auf ihn zu.
„Guten Abend, Monsieur, guten Abend, Mademoiselle. Folgen Sie mir, ich führe Sie zu Ihrem Tisch.“
Wir müssen um mehrere Tische herumgehen, um bis dorthin vorzudringen. Jedes Mal bleibt Daniel stehen, um Hände zu schütteln oder jemandem ein Lächeln zu schenken. Ich folge ihm und fühle mit jedem Schritt, wie sich mein Traum von trauter Zweisamkeit immer weiter entfernt. Unser Tisch zieht sämtliche Blicke auf sich. Zwei Schalen Champagner erscheinen wie von Zauberhand, ohne dass ich gesehen habe, wo sie hergekommen sind. Ich trinke langsam, um mich nicht unterhalten zu müssen. Immer wenn jemand auf mich aufmerksam wird, lächle ich nur mechanisch.
Die Speisekarte kommt nach einer gefühlten Ewigkeit. Daniel und ich haben noch kein Wort miteinander gewechselt. Während ich mir die angebotenen Speisen durchlese, nimmt Daniel die Karte wieder an sich und wendet sich an den Kellner:
„Wir bekommen die gekühlten Kaisergranaten mit Kaviar, dann Seespinnen und Calamares, bitte.“
Igitt. Nur das nicht.
„Entschuldigen Sie, aber ... ich mag keinen Fisch.“
Der Kellner sieht mich an, als wäre er gerade von einer Wahnsinnigen beleidigt worden. Daniel schickt ihn mit einer Geste weg. Es hat mich enorme Überwindung gekostet, das Wort zu ergreifen, aber das hat er überhaupt nicht bemerkt. Er runzelt die Stirn und wirft mir einen konsternierten Blick zu.
„Die Seespinne ist eine der renommiertesten Spezialitäten dieses Hauses.“
„Kann sein, aber ich mag so was nicht.“
„Wissen Sie überhaupt, worum es sich handelt?“, fragt er mich mit dem Ton eines Lehrers, der einen widerspenstigen Schüler zurechtweist.
Also wirklich, wofür hält er mich eigentlich?
„Die Seespinne ist ein Krustentier, das im ausgewachsenen Alter etwa zwanzig Zentimeter lang ist und zwischen zweihundertfünfzig Gramm und drei Kilo wiegt. Ihr Panzer hat eine dreieckige Form und ist mit hakenartigen Borsten besetzt, die meist mit Algen bedeckt sind. Sie hat zehn lange Beine mit Gelenken in der Mitte und Krallen am Ende, außer bei dem vorderen Paar, das um den Mund herum angeordnet ist und Scherenfüße aufweist. Ich füge noch hinzu, dass bei der Seespinne die sexuelle Reife bei vielen verschiedenen Größen eintritt, bei den Weibchen zwischen 85 und 165 Millimetern.“
Das habe ich alles in einem Atemzug heruntergebetet, der Text stammt aus einem Biologie-Referat, das ich in der Oberstufe gehalten habe.
Nein wirklich,
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