Mr. Fire und ich, Band 4 (German Edition)
Ohrfeige.
„Warum sagen Sie das?“
„Können Sie nicht einfach an Ihrem Platz bleiben und aufhören, Fragen zu stellen?“
Dieses Mal habe ich Tränen in den Augen. Aber das lasse ich mir nicht gefallen:
„Und wo bitte ist mein Platz? In Ihrem Bett vielleicht? Wenn das so ist, habe ich das Recht zu wissen, wer diese Frau ist.“
Ich habe geschrien. Auf dem Gehsteig drehen sich die Leute nach uns um und mustern uns. Ich sehe, wie Daniels Gesicht rot anläuft:
„Halten Sie den Mund, Julia, Sie sind lächerlich!“, zischt er mit zusammengebissenen Zähnen.
Er hat recht. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Noch nie habe ich irgendjemandem auf offener Straße eine Szene gemacht. Dabei kenne ich diese Frau nicht einmal! Aber das ist es ja eben ... Hat Daniel mit ihr geschlafen, so wie mit mir? Wie haben sie sich kennengelernt? Ich könnte nicht sagen warum, aber in meinem tiefsten Inneren weiß ich, dass sie seine Geliebte gewesen ist. Wo ist sie jetzt? Besteht das Risiko, dass sie sich wiedersehen? Zum ersten Mal in meinem Leben beschleicht mich die Eifersucht wie ein eisiges Gift.
Ich muss mich wieder fangen. Nicht meine Beherrschung verlieren.
Ich atme tief durch. Daniels Taxi kommt. Ich versuche ein letztes Mal, meinen Standpunkt zu verteidigen:
„Daniel, wenn das eine frühere Freundin von Ihnen ist, stört mich das nicht. Ich dachte nur, dass ... na ja, nach allem, was wir zusammen erlebt haben, vielleicht ...“
Es hat keinen Sinn. Im Gegenteil, Daniel scheint immer wütender zu werden. Als er in das Taxi steigt, wirft er mir an den Kopf:
„Was auch immer Sie sich ausgemalt haben, schlagen Sie es sich aus dem Kopf. Sie schnüffeln in meinem Privatleben herum. Sie ziehen vollkommen nichtige Schlussfolgerungen. Und dann besitzen Sie auch noch die Frechheit, mir Ihre Meinung dazu mitzuteilen. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!“
Zerstört. Ich bin am Boden zerstört. Ausgeknockt wie ein Boxer im Ring. Niemals hätte ich auch nur eine Sekunde lang gedacht, dass unsere Diskussion eine derartige Wendung nehmen würde. Inzwischen kommt Ray mit dem Auto herangefahren, aber ich winke ihm zum Zeichen, dass er weiterfahren soll. Daniel hat mir klar zu verstehen gegeben, dass er mich nicht mehr sehen will. Warum soll ich mich dann also weiter von ihm beschatten lassen? Soll er doch seinen Wachhund behalten, ich brauche ihn nicht.
Ich laufe den Gehsteig entlang, ohne mich für die Luxusboutiquen um mich herum zu interessieren. Einem Schild entnehme ich, dass ich mich in der Rue Montaigne befinde. Ich hole mein Handy aus der Tasche und versuche, mich mit Hilfe der GPS-Funktion zu orientieren. Die Avenue des Champs-Élysées ist ganz in der Nähe. Ich muss den Weg zu Sarahs Wohnung finden. Letztes Jahr habe ich sie zweimal besucht. Erst um ihr beim Einzug zu helfen, dann kurz vor meiner Abreise nach New York vor sechs Monaten. Sie hat mich in der Stadt herumgeführt. Dabei konnte ich feststellen, dass, obwohl ich Paris virtuell schon in alle Richtungen beschritten hatte, die Realität noch einmal etwas völlig anderes ist. Heute Abend, ganz ohne Begleitperson, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Ich renne schon fast, um Abstand zu Ray zu gewinnen, der mir trotz meiner Abfuhr weiter folgt. Als ich endlich die Metro-Station Franklin Roosevelt erblicke, stürze ich mich erleichtert hinein.
Sarahs Wohnung befindet sich in der Rue du roi de Sicile in der Nähe der Metro-Station Saint Paul. Die Linie 1, die die beiden Haltestellen miteinander verbindet, ist die einzige, die ich kenne. Zusammen mit Sarah bin ich mit dieser Linie zum Louvre gefahren, zum Centre Pompidou, zu den Tuilerien ... Damals war ich von alldem entzückt und zugleich eingeschüchtert. Aber inzwischen war ich in New York. Diese Erlebnisse haben nichts von ihrer Magie verloren, aber mein Blick darauf hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Innerhalb von sechs Monaten bin ich erwachsener geworden, reifer, selbstbewusster. Und inzwischen hat es Daniel gegeben. Selbstbewusster, wirklich? Nicht so sehr, wenn ich an das Fiasko von heute Abend denke.
Zwischen den Haltestellen Châtelet und Hôtel de Ville erkenne ich die bittere Wahrheit: Ich habe Daniel verloren. Vorhin war ich zu sehr damit beschäftigt, Ray abzuhängen und mich auf der Straße zurechtzufinden, und hatte es dabei beinahe geschafft, meinen Schmerz zu verdrängen. Nun aber überflutet er mich von Neuem. Als ich an der Haltestelle Saint Paul ankomme,
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