Mr. Joenes wundersame Reise
Orakel war eine riesige Re-chenmaschine überaus komplexer Bauart und Technik mit einem Schaltpult oder Altar, der von vielen Priestern genutzt wurde. Diese Priester waren ka-striert worden, damit sie nichts anderes dachten als die Maschine. Und der Hohepriester war dar-
überhinaus auch noch geblendet worden, damit er Bittsteller einzig und allein durch die Augen des Orakels betrachten konnte.
Als der Hohepriester eintrat, warf Joenes sich vor ihm nieder. Doch der Priester bedeutete ihm, aufzustehen, und sagte: »Mein Sohn, fürchte dich nicht. Der Tod ist das Schicksal aller Menschen, und in ewiger Mühsal und Not fristen sie ihr Dasein, so lange ihre Sinne funktionieren und sie mit flüchtigen Eindrücken versorgen. Sage mir, hast du Geld bei dir?«
Joenes antwortete wahrheitsgemäß. »Ich habe acht Dollar und dreißig Cents. Warum fragt ihr, Vater?«
»Weil«, erklärte der Priester, »es allgemein Sitte ist, daß die Ratsuchenden dem Orakel ein freiwilliges Opfer bringen. Doch wenn du kein Geld haben solltest, dann kannst du nicht minder ak-zeptable Gaben darbringen als da sind jedwede bewegliche Wertgegenstände. Obligationen, Ak-tien, Schenkungsurkunden oder jedwedes anderes Schriftstück, welches für den Menschen einen Wert darstellt.«
43
»Ich habe nichts von alledem«, gestand Joenes traurig.
»Besitzt du denn kein Land in Polynesien?« wollte der Priester wissen.
»Ich nicht«, gestand Joenes. »Meine Eltern bekamen von der Regierung Land zur Verfügung gestellt, welches aber zurückgegeben werden muß.
Auch habe ich keinerlei Vermögen, weil so etwas in Polynesien als wertlos angesehen wird.«
»Dann besitzt du gar nichts?« fragte der Priester.
Er schien leicht unwirsch zu werden.
»Nichts außer diesen acht Dollar und dreißig Cents«, sagte Joenes, »und eine Gitarre, die aber nicht mir, sondern einem Freund namens Lum im fernen Kalifornien gehört. Aber Vater, sind diese Dinge wirklich so notwendig?«
»Natürlich nicht«, entgegnete der Priester. »Aber selbst Kybernetiker müssen von irgend etwas leben, und ein Akt der Freigiebigkeit von Seiten eines Fremden wird überaus wohlwollend aufgenommen und im Gedächtnis behalten, vor allem dann, wenn es darum geht, das Orakel zu erklären. Au-
ßerdem glauben einige, daß ein mittelloser Mensch jemand ist, der nicht genug gearbeitet hat, um Geld für das Orakel anzuhäufen für den Fall, daß der Tag des Ewigen Gerichts für ihn anbricht, und er es deshalb auch an entsprechender Frömmigkeit fehlen läßt. Dies soll uns jedoch nicht bekümmern.
Wir werden jetzt deinen Fall vortragen und um ein 44
Urteil bitten.« Der Priester nahm also die Erklä-
rung des Generalstaatsanwalts und Joenes‘ Vertei-digungsschrift und übersetzte beides in die geheime Sprache, welche nur das Orakel verstand und in welcher es sich den Menschen mitteilte. Schon bald erfolgte eine Antwort.
Das Urteil des Orakels lautete:
QUADRIERE ZUR ZEHNTEN POTENZ
MINUS QUADRATWURZEL VON MI-
NUS EINS NIMM AUCH DEN KOSINUS,
DENN OHNE IHN DES MENSCHEN VER-
GNÜGEN IST SCHEIN FUGE X HINZU,
SO VARIABEL, FREISCHWEBEND UND
LICHT DANN ERHÄLTST DU AM ENDE
DIE NULL UND MEHR BRAUCHST DU
NICHT.
Als diese Entscheidung kundgetan war, kamen die Priester zusammen, um die Worte des Orakels zu interpretieren. Und dies geschah in folgender Weise:
QUADRIERE heißt, mache den Fehler gut.
ZUR ZEHNTEN POTENZ ist der Grad und das Maß, nach welchem der Delinquent arbeiten muß, um seinen Fehler zu korrigieren; nämlich zehn Jahre.
DIE QUADRATWURZEL VON MINUS EINS, was eine imaginäre Zahl ist, symbolisiert ein flüchtiges 45
Stadium der Gnade, doch da es doppeldeutig ist und als Faktor steht, kann diese Formulierung zugleich auch Macht und Ruhm für den Ratsuchenden prophezeien. Deshalb wird die soeben auf zehn Jahre festgesetzte Strafe ausgesetzt.
X ALS VARIABLE symbolisiert die Gefahren der Welt, in deren Mitte der Ratsuchende leben soll und welche ihm alle möglichen Schrecken vor Augen führen sollen.
DER KOSINUS ist das Zeichen der Gottheit selbst, welches den Ratsuchenden vor der Bedrohung der Bestien bewahrt und welches ihm sichere fleischliche Vergnügungen verheißt.
AM ENDE DIE NULL bedeutet, daß göttliche Gerechtigkeit und menschliche Schuld sich am Ende ausgleichen.
MEHR BRAUCHST DU NICHT soll heißen, daß der Ratsuchende angehalten wird, weder dieses noch irgendein anderes Orakel jemals wieder aufzusuchen, da diese Deutung vollständig und endgültig ist.
So
Weitere Kostenlose Bücher