Mr Nanny
dunklen, samtig schimmernden Holzdielenboden und große, vom Boden bis zur Decke reichende Fabrikfenster, die einen atemberaubenden Blick auf den Battery Park und den Hudson River ermöglichten.
»Das mit dem Existenzialismus, dieses Woody-Allen-wir-sind-letztlich-doch-alle-allein-Dings, kapiere ich ja noch, aber wieso blau? Soll das der Himmel sein? Eine Art Hoffnungsschimmer in all dem Elend? Oder ist es mehr dieses suizidale Picasso-Blau?«, fragte ich ratlos. Ihre Bilder waren allesamt eigenwillig, ja kühn, aber ich hatte trotzdem keinen blassen Schimmer, was sie damit ausdrücken wollte.
Kathryn zuckte lediglich mit den Schultern und tätschelte mir auf dem Weg zum Kühlschrank den Kopf. Es machte ihr nichts aus, dass ich »die Botschaft« nie zu kapieren schien. Miles dagegen, ihr Kunsthändler und Ehemann, verstand sie dafür umso besser. Ebenso wie offenbar all die hippen Downtown People, die eine Menge Geld dafür hinblätterten, sich ihre Bilder an die Riesenwände ihrer Lofts hängen zu dürfen.
»Ich hatte diese kranken, narzisstischen Selbstporträts einfach satt«, erklärte sie. »Und auch dieses Unschuldtrifft-Porno-Dings. Also bin ich wieder bei der abstrakten Kunst gelandet. Meine späte de-Kooning-Phase - bloß eben ein bisschen früher!«
Ich wusste, dass sie sich über sich selbst und diese ganze verdrehte Kunstwelt lustig machte, in der sie sich bewegte, kapierte aber immer noch nichts.
»Verstehst du denn nicht?«, sagte sie vorwurfsvoll. »Das bin ich - mein ganzes Ich, bloßgelegt auf der Leinwand! Jede Phase ist migratorisch. Der Künstler katalogisiert visuell jeden einzelnen Schritt des Individuums auf seiner isolierten Reise durchs Leben.«
»Migratorisch?«, fragte ich verwirrt.
Sie lachte. »Nur die Ruhe. War bloß der Katalogtext.«
Miles schenkte sich ein Glas Eistee ein und biss in eine dicke Scheibe Brot, auf die er sich einen ordentlichen Brocken ausgereiften Parmesan gelegt hatte. »Mit diesem Blau will sie ausdrücken, dass wir alle eins sind, verbunden mit dem Universum. Und auf dieser ewigen Suche nach Einssein, nun, da migrieren wir.« Er warf mir eine Scheibe Brot zu. »Ist bloß Künstlergerede. Entweder man hat’s, Baby, oder man hat’s nicht.«
Wir hatten uns eigens zu dem Zweck getroffen, mir, also Kathryns bester Freundin, ihre neue »Phase« zu präsentieren. Es war ein Dauerwitz zwischen uns, dass sie die kreative, lockere, schlampige »Künstlerin« war, ich dagegen das ordnungsliebende, pflichtbewusste Arbeitstier. Sie lag mir andauernd damit in den Ohren, ich sei zu sehr mit »Produzieren« beschäftigt und würde mir nie die Zeit nehmen, auch mal der kosmischen Musik der Sphären zu lauschen.
Mike brach ein Stück Parmesan ab und reichte es mir. »Übrigens, Jamie. Nett, dich unterhalb der 57. Straße zu sehen. Hast du Nasenbluten gekriegt?«
»Miles!« Kathryn schlug nach ihm.
»Ach, das nimmt sie mir nicht übel. Sie ist cool.« Er schnappte sich eine Scheibe Schinken. »In gewisser Weise.«
Miles, der gerade erst hereingekommen war, um sich uns zum Essen anzuschließen, schlüpfte aus seiner abgetragenen ledernen Baseballjacke und warf sie achtlos auf das braune Kordsofa. So unausstehlich Miles auch war - er sah einfach umwerfend aus: groß, breit, muskelbepackt, Typ Feuerwehrmann. Er hatte kurze braune Haare und ein unglaublich charmantes Grinsen, dazu prächtige Zähne. Seine Alltagsklamotten bestanden aus Jeans und schwarzem T-Shirt, dessen Ärmel er immer hochkrempelte, damit die Ladys seinen Bizeps bewundern konnten. Kathryn musste sich einmal pro Monat auf einen flotten Dreier mit der alleinstehenden Nachbarin einen Stock über ihnen einlassen, nur um ihn vom Fremdgehen abzuhalten. (Phillip würde mir einen Lamborghini spendieren, wenn ich mich je dazu bereiterklärte.)
Ich setzte mich zu Kathryn und Miles in den Wohnbereich des Lofts: zwei Nina-Campbell-Sofas, dazu ungleiche Sofakissen mit Indianerkunst-Motiven.
»Wie geht’s dem Göttergatten?«, fragte Miles spöttisch und legte den Arm um Kathryns Schulter. Miles konnte Phillip nicht ausstehen. Das war auch der Grund, warum wir uns nie zu viert trafen; der erste diesbezügliche Versuch war nämlich eine glatte Bauchlandung gewesen.
»Jetzt pass mal auf, Amigo«, hatte Phillip zu Miles gesagt. »Du sitzt hier und jammerst, dass du deine Ware verhökern musst oder sie, wie in diesem Fall, nicht verhökern kannst. Aber die Sache ist doch die: Mit Kunst ist nichts zu verdienen. Klar,
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