Mr Nanny
weiter, und ich merkte, wie er mich dabei verstohlen aus den Augenwinkeln musterte. Ich hatte es nicht gern, so überfallen zu werden und ins Blaue hineinzumarschieren, ohne ein konkretes Ziel. Aber es war ein wunderschöner Tag, und ich war in wunderbarer Gesellschaft.
Wir stolperten einen steilen Wiesenpfad zu einem kleinen See hinunter. Die Sonne kam heraus und fiel schräg durch die kahlen Zweige der Eichen. Sie spiegelte sich in den hohen schlanken Wolkenkratzern, die den Park umgaben. Am Bootssteg war, trotz der relativ frühen Tageszeit, bereits jede Menge los: Nannys, die auf Parkbänken miteinander schwatzten und dabei Babys in Kinderwagen schaukelten. Eine ältere Dame mit breitem Strohhut und mexikanischem Poncho, die vor einer tragbaren Staffelei stand und eine Landschaftsszene malte. Eine Gruppe alter Männer in abgetretenen Tennisschuhen, die Modellboote auf dem See herumfahren ließen. Wir blieben einen Augenblick vor der berühmten Alice-im-Wunderland-Statue stehen, um sie zu bewundern. Und es war unmöglich, sie nicht zu bewundern: eine überlebensgroße Bronze-Alice, die auf einem Fliegenpilz saß, flankiert vom Märzhasen und vom Hutmacher. Wenn wir mit den Kindern im Park waren, hatten sie sich immer gleich auf sie gestürzt und waren auf ihr herumgeklettert.
»Ich hab dir was verschwiegen.«
»Was? Dass du schwul bist?« Was für eine blöde Bemerkung. Wie kam ich nur auf einen solchen Blödsinn?
»Kaum.«
»Also, was?«
Er berührte mich behutsam am Rücken, um mich in die Richtung eines Radwegs zu lenken, der sich einen nahe gelegenen Hügel hinaufwand. Ich zog unwillkürlich die Schulterblätter zusammen, um mich seiner Hand zu entziehen. Jetzt hör schon auf mit dem Blödsinn, Jamie , ermahnte ich mich. Du benimmst dich wie ein Schulmädchen. Dein hart arbeitender Mann ist ein erfolgreicher Rechtsanwalt und verdient über eine Million Dollar im Jahr. Du hast drei Kinder. Peter ist sechs Jahre jünger als du, praktisch noch ein Kind. Du bist eine erwachsene Frau. Du bist ein bisschen in ihn verknallt, weil Phillips Gefühlsbarometer praktisch nicht existent ist. Aber es ist falsch. Falsch und destruktiv.Wie eine Droge. Also hör auf damit. Auf der Stelle.
»Es ist in meiner dritten oder vierten Woche bei euch passiert. Es war ziemlich kühl, und Dylan und ich hatten ein Segelboot gemietet, um ein kleines Rennen zu veranstalten. Aber es war praktisch windstill. Wir konnten das Boot nicht in Bewegung setzen. Da hat Dylan sich rausgebeugt und ist kopfüber in diesen widerlichen See gefallen.«
»Ach du großer Gott! Hat er sich den Kopf gestoßen? Er hätte Hepatitis kriegen können!«
»Jetzt beruhig dich, okay? Es war unglaublich komisch. Wir haben uns gekugelt vor Lachen. Und es war ein großer Moment für uns. Besonders der Teil, in dem es darum ging, dir nichts zu verraten.«
»Na ja, dann sollte ich mich wohl freuen, dass ihr mir nichts gesagt habt.«
»Ja, denn sonst hättest du möglicherweise einen farbcodierten Termin verpasst oder so was.«
»Sehr witzig. So schlimm bin ich nun auch wieder nicht.«
»Nein, bist du nicht.« Wir gingen weiter ins Innere des Parks hinein, und dabei hingen dieseWorte zwischen uns.Was meinte er damit? Einfach, dass ich nicht so schlimm war? Oder dass ich viel besser war als ›nicht so schlimm‹?
Wir folgten dem gewundenen, rissigen Asphaltpfad einen Hügel hinauf und dann hinunter in ein schattiges Tal. Jogger liefen an uns vorbei oder alte Leute, die gemächlich spazieren gingen. Wir kamen durch einen Fußgängertunnel, in dem ein alter Schwarzer stand und auf einer Trompete »Summertime« blies. Peter ließ im Vorbeigehen ein paar Münzen in seinen offenen Instrumentenkasten fallen.
Wir erreichten das Bootshaus, und dahinter lag auf einer hübschen kleinen Anhöhe das Seerestaurant. Ruderboote in fröhlichen Farben lagen aufeinandergestapelt und mit einer dicken Kette befestigt am Uferrand. Erst jetzt wurde mir klar, wie seltsam es war, dass wir nur eine halbe Meile von einer Bootsvermietung entfernt wohnten, ich aber noch nie mit meinen Kindern hierhergekommen war. Ich nahm mir fest vor, sie nach der Theresa-Sache auf eine kleine Ruderpartie herzubringen.
Wir folgten dem Pfad weiter über schattige Windungen und tauchten schließlich aus den Bäumen auf. Vor uns lag ein großer, von hohem Riedgras umgebener Teich. Auf einem hölzernen Bootssteg am anderen Ende standen ein paar Kinder und fütterten eine Entenfamilie. Ich warf einen
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