Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
meldete, schloss er schlicht: »Du wirst ja sehen.«
Und so war es auch.
Alexandras Mutter war absolut nett und völlig normal. Sie begrüßte Tante Honoria, und die beiden kamen schnell ins Gespräch, unterhielten sich über die Schule und über Babysitterhonorare und tauschten sich lebhaft über die Restaurants im Viertel und die edlen Einkaufspassagen in der Nähe aus. Das dauerte ungefähr zehn Minuten, aber dann wurde es schwierig, Alexandra zu ignorieren, die zu allem eine Meinung hatte. Statt ihrer Totenschädel-Ohrringe trug sie heute ein paar Glitzerdinger, auf denen stecknadelkopfgroße Leuchtpunkte pulsierten – erst blau, dann grün, dann gelb, dann schwarz und blau –, die Darwen sehr irritierten.
»Und ich denke, dass die Schulbusse lila sein sollten, mit blinkenden rosa Lichtern«, sagte sie gerade. »Das wäre hübsch und würde sicher dazu führen, dass die Kids viel lieber zur Schule gehen. Und die Bücher sollten auch bunter sein. Alles in der Schule ist so laaaangweilig. Als hätte man einen Langeweileexperten geholt, um ganz sicherzugehen, dass es auf keinen Fall irgendwas dort gibt, das interessant wäre. Nein «, erklärte sie mit blasierter Stimme, » das kannst du nicht machen. Das ist viel zu spannend. Hier muss alles langweilig sein. Öde. Nervig. Ohne irgendetwas von Interesse oder Wert. Sobald jemand so aussieht, als ob sein Hirn stimuliert wird, machen sie sich sofort Gedanken: Ideen, ach du liebe Zeit, da müssen wir den Laden zumachen …«
So ging es während des Essens weiter. Alexandra hatte eine Meinung zu den Gerichten, zum Wetter, zum Springbrunnen im Centennial Olympic Park, zur politischen Lage in einigen afrikanischen Ländern, zu Weihnachten, ihren liebsten Fischen im Georgia-Aquarium und wusste angeblich auch, in welchen Fast-Food-Restaurants man am meisten für sein Geld bekam. Darwen sah die meiste Zeit auf seinen Teller und riskierte nur gelegentlich ein paar verstohlene Blicke auf das verblüffte Gesicht seiner Tante. Beim Nachtisch vermittelte sie bereits den Eindruck, als hätte sie einen streunenden Hundewelpen mit nach Hause genommen und feststellen müssen, dass er enorm wuchs und ihre ganzen Möbel auffraß, kaum dass sie zur Tür hereingekommen waren.
Alexandra hörte nur einmal kurz auf zu reden, als ihre Mutter Fotos von ihrer kleinen Schwester Kaitlin zeigte. Während die beiden Erwachsenen das Baby betrachteten und »Oh« und »Ah« machten, schwieg sie ganze zehn Sekunden; dann hielt sie unvermittelt, laut und schnell einen Vortrag darüber, wieso die Falcons im nächsten Jahr allein wegen ihres »coolen« Torjubels in der Endzone den Superbowl gewinnen würden. Als sie schließlich das Besteck hinlegte und fragte, ob »die Kids« vom Tisch aufstehen dürften, waren die beiden Frauen sehr schnell einverstanden.
»Komm, Darwen«, sagte Alexandra. »Du kannst mir dein Zimmer zeigen.«
Darwen sah seine Tante mit großen Augen protestierend an, aber offenbar sehnte sie sich danach, sich eine Weile nur mit einer Erwachsenen zu unterhalten.
»Aber sicher«, erklärte sie. »Geh schon, mein Schatz.«
»Mach nichts kaputt«, rief Mrs. O’Connor der davonstürmenden Alexandra nach.
Darwen zögerte gerade lange genug, um die Erleichterung auf den Gesichtern der Erwachsenen zu sehen, dann rannte er ihr hinterher. Als er seine Zimmertür erreichte, war Alexandra schon drin, zog Schubladen auf, nahm Sachen heraus und legte sie wieder zurück.
»Was ist das?«, fragte sie und holte etwas unter dem Bett hervor.
»Das ist ein Kricketschläger«, begann Darwen. »Ist ein bisschen wie ein Baseballschläger, aber …« Doch Alexandra hatte ihn schon wieder zurückgeschoben und betrachtete nun ein Buch.
»Ist das eine Geschichte?«, fragte sie. »Worum geht es denn?«
»Also, das ist eine Art …«
»Und das hier?« Sie hielt eine Dinosaurierfigur hoch. »Soll das so eine Farbe haben?«
»Hör doch endlich mal auf!«, brach es plötzlich aus Darwen heraus.
»Was denn? Ich gucke doch nur. Du hast ziemlich wenige Sachen, oder? Ist das alles, oder hast du woanders noch mehr?«
»Ein bisschen was ist noch in England«, sagte Darwen, der sich zwang, ruhig auf dem Bett Platz zu nehmen.
»Klar«, sagte sie abgehoben. »England. Ich verstehe. Was ist in deinem Wandschrank?«
»Du hast also eine kleine Schwester.« Darwen versuchte hastig abzulenken. »Das ist doch bestimmt schön.«
»Sollte man meinen, oder?«, sagte Alexandra. »Aber das denkt man nur, wenn man
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