Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
keine hat. Also, was ist in deinem Schrank?«
»Nichts«, sagte Darwen, der wieder aufstand und sich halb vor die Tür stellte. »Nur Klamotten.«
»Zeig mal«, sagte Alexandra.
»Wieso?«
»Wieso?«, wiederholte sie, als hätte sie das Wort noch nie zuvor gehört. »Weil ich neugierig bin. Was ist denn dabei? Hast du da irgendwelche Geheimnisse drin oder was? Bewahrst du da das Ding aus dem Laden auf? Das mit den kleinen Rädchen und dem ganzen Kram?«
»Es ist nur …« Darwen suchte nach dem richtigen Wort. »Privat.«
»Privat? Na und? Privat. Ich bin dein Gast. Ich bin deine Freundin, schon vergessen?«
»So ein bisschen«, brummte Darwen. »Und auch nur, weil du das gesagt hast.«
»Du hast zugestimmt«, erinnerte das Mädchen und wirkte nicht im Geringsten beleidigt. »Hey, was ist denn das?«
Sie sah aus dem Fenster auf die Straße und machte große, überraschte Augen.
»Was denn?«, fragte Darwen. Er trat zum Fenster, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. »Ich sehe nichts …«
Als er sich wieder halb umwandte, wurde ihm klar, dass Alexandra ihn ausgetrickst hatte. Sie war an ihm vorbeigehuscht und hatte die Tür geöffnet.
Nun vergaß Darwen seine ganze Höflichkeit. Er drängte sich an ihr vorbei und schlug die Tür des Wandschranks so heftig zu, dass Alexandra erst im letzten Moment ihre Finger zurückziehen konnte. Durch den Schwung sprang die Tür wieder auf, und nun rutschte auch noch das T-Shirt vom Spiegel.
Und dann hing er da: der Rahmen, der den mondbeschienenen Wald einfasste und den Weg, der zum Springbrunnen führte.
Darwen starrte ihn an. Dann räusperte sich Alexandra.
»Du hast also einen Spiegel im Wandschrank. Ist ja toll. Der ist ja ziemlich groß. Dir ist es wohl wichtig, gut auszusehen, wenn du in die Schule gehst …«
»Genau«, sagte Darwen und versuchte zu lachen. »Okay. Ich habe einen Spiegel. Das ist doch nicht verboten, oder?«
»Ich glaube nicht«, stimmte Alexandra ihm zu. »Ein ziemlich lahmes Geheimnis, aber ich sag’s keinem, wenn du nicht willst.«
»Okay«, sagte Darwen enorm erleichtert. »Sicher.«
Alexandra streckte die Hand aus.
»Schlag ein.«
Darwen verdrehte die Augen, dann nahm er ihre Hand und schüttelte sie einmal.
»Wow«, sagte Alexandra unvermittelt.
»Was denn?«
Darwen hatte ihre Hand losgelassen, aber sie packte sie wieder und hielt sie mit schraubstockartigem Griff umklammert. Dabei sah sie den Spiegel an.
In dem Augenblick begriff er, was los war. Er wusste nicht, wie es kam oder warum, und er hatte keine Ahnung, wieso Mr. Peregrine ihn nicht gewarnt hatte, aber es gab keinen Zweifel. Alexandra hatte, genau wie seine Tante, nicht durch den Spiegel sehen können. Zuerst. Doch als Darwen sie berührte, da ging es plötzlich doch.
Darwen sagte nichts. Alexandra auch nicht, für eine volle Minute, was vermutlich einen Rekord darstellte. Sie starrte nur wie gebannt auf den Spiegelrahmen und den Wald dahinter, seine Hand fest in ihrer.
»Okay«, sagte er schließlich. »Du darfst niemandem davon erzählen.«
Alexandra, noch immer stumm, schüttelte in schneller Zustimmung den Kopf, hielt den Blick jedoch weiter fest auf die Szenerie gerichtet, die so völlig unmöglich hinter dem Spiegel aufgetaucht war. Darwen wartete auf die Fragen – Wo hast du den her? Wie funktioniert das? Was ist das, eine Art Flachbildschirm? Aber Alexandra starrte einfach nur weiter auf den Rahmen, und er wusste, dass sie begriffen hatte.
Einen langen Augenblick taten sie beide nichts, außer den dunklen Wald anzusehen, und alles war still, nur gelegentlich fuhr der Wind sanft durch die Bäume.
Darwen hörte die beiden Frauen im Nebenzimmer lachen, er befreite seine Hand und nahm das T-Shirt, um es wieder über den Spiegel zu hängen.
»Warte«, sagte Alexandra plötzlich und fand so schnell zu ihrem alten Ich zurück, als hätte jemand auf einen Schalter gedrückt. »Ich bin noch nicht fertig. Gib mir noch mal deine Hand.«
»Das ist gefährlich«, sagte Darwen und versuchte erfolglos, sich ihrem Griff zu entwinden. »Meine Tante könnte reinkommen.«
»Hey, es ist in Ordnung«, sagte sie, als hätte sie schon seit Jahren ein Portal zu einer anderen Welt in ihrem eigenen Schrank hängen.
»Nein«, sagte Darwen und rückte das T-Shirt zurecht.
Alexandra griff danach, verlor das Gleichgewicht und fasste mit ihrer freien Hand unwillkürlich gegen das Spiegelglas, um nicht umzufallen.
Aber natürlich war da keine Oberfläche, die sie hätte
Weitere Kostenlose Bücher