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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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über den Sheriff und dass unter dem Gefängnis Schreie zu hören seien. Er sagte, der Sheriff könne die Zelle dazu bringen, einem nachts etwas vorzusingen, über all die bösen Dinge zu singen, die einem zugestoßen sind, und einen darin ertränken. Und er sagte, er sei alt. Weißt du, wie alt der Sheriff seiner Ansicht nach ist? Was sagst du, Connelly, wie alt sieht der Sheriff deiner Meinung nach aus?«
    »Keine Ahnung. Fünfzig. Fünfundfünfzig.«
    »Seiner Meinung nach ist der Sheriff fast neunzig Jahre alt.«
    »Schwachsinn.«
    »Ich weiß. Aber das sagte er. Und es macht Sinn, nicht wahr? Ich meine, du hast ihn gesehen. Hast du … hast du seine Augen gesehen?«
    »Ja.«
    »Die sind nicht normal, oder? Selbst wenn er ein kleiner alter Mann ist, seine Augen sind älter. Als hätten sie zu viel gesehen. Vielleicht auch Dinge, die die meisten Leute besser nicht sehen sollten.«
    »Wovon redest du da eigentlich?«
    »Oh, das hat bloß der verrückte Alte in deiner Zelle erzählt. Sagte, der Sheriff würde schon so lange in dieser Stadt arbeiten, dass es nicht normal wäre. Sagte, der Sheriff hätte einen Handel mit Gott gemacht.«
    Connelly hielt inne. »Was sagst du da?«
    »Hm? Ich sagte, der Sheriff hätte einen Handel mit einem Gott gemacht.«
    »Mit … mit welchem Gott?«
    »Welchem Gott? Keine Ahnung, er war verrückt. Davon abgesehen scheint es eine Menge Götter zu geben.«
    »Wozu soll dieser Handel gut gewesen sein?«, flüsterte Connelly.
    »Wozu? Um länger zu leben, dazu. Ich weiß nicht, was dieser Gott sich davon erhoffte. Vielleicht einfach bloß … Hilfe. Vielleicht wäscht ja eine Hand die andere, was weiß ich?«
    Connelly konnte sich nur mühsam auf Peachys Worte konzentrieren. Ihm war schlecht. Er schluckte und sagte: »Glaubst du … glaubst du, er kann das Leben von Menschen verlängern?«
    »Wer? Dieser Gott? Na klar. Warum nicht? Der Alte sagte, er käme von den Hügeln. Sagte, dass im Gefängnis manchmal Schreie ertönten, und diese Schreie, sie würden ihn rufen. Ihn wecken. Er würde runterkommen und nachsehen. Als öffneten sich die Berge und bluteten, und dann erhebt er sich aus der Asche und tippt einfach mit dem Fuß auf.«
    »Wie sieht er aus?«
    »Wer?«
    »Der Gott. Wie sieht dieser Gott aus?«
    »Das hat der Alte nicht gesagt. Warum? Was ist los mit dir?«
    »Jesus«, sagte Connelly. »Jesus Christus.« Sein Kopf fing wieder an zu pochen. Da war ein schrilles Winseln in seinen Ohren, das sich in jeden Gedanken bohrte. Er hielt sich den Schädel und drückte die Finger dagegen, als könnte er mit dieser neuen Enthüllung den Schmerz herauspressen.
    Was war dieses Ding, das sie jagten? Wie alt war er, wie lange ging das schon so? Er erinnerte sich an Korsher, der besoffen im Gras vor sich hin lallte. Erinnerte sich an den Gesichtsausdruck des Jungen, als er das Auftauchen des Narbigen beschrieb. Sie hatten so lange in seinem Windschatten gelebt, aber was war er?
    »Was?«, fragte Peachy. »Was hast du gesagt? Wie lange was? Connelly, was machst du da drüben?«
    Connelly murmelte etwas zur Erwiderung. Ihm war schlecht. Ohne nachzudenken, fing er an, Fäden aus seinen Hosenaufschlägen zu ziehen. Dann zog er Splitter aus dem Boden und versuchte, seine Finger in Bewegung zu versetzen. Er war nicht so geschickt wie Roosevelt, darum war das Idol, das er herstellte, primitiv. Aber es war seiner Meinung nach immer noch gut genug. Das Gesicht machte er aus Staub und Spucke, und auch wenn die Augen schief waren, so hatten sie doch noch immer eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Menschen.
    »Da«, keuchte er und lehnte sich zurück. »Da.« Er stellte es in die Ecke. Dann fing er an zu husten.
    »Connelly, stirb mir bloß nicht … hörst du?«, sagte Peachy. »Ich konnte schon über einen Monat lang mit keinem mehr reden. Bitte, stirb nicht, Connelly. Bitte nicht …«
    Connelly antwortete nicht. Das schrille Kreischen in seinem Kopf verdrängte jeden anderen Gedanken. Er krümmte sich auf dem Boden zusammen und starrte mit tränenden Augen zur Decke. Über ihm flackerte das Sonnenlicht wie eine in den letzten Zügen liegende Glühbirne und schickte Schatten in die Zelle. Aber das war unmöglich. Und sollte der Sheriff wirklich die Macht haben, die Sonne selbst zu töten, und sei es auch nur für eine Sekunde, dann befanden sich Connelly und die anderen bereits in ihrem eigenen Grab. Sie wussten es bloß noch nicht.

    Die Zeit verlor für ihn ihre Konsistenz. Stunden wurden zu

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