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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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unsichtbaren Pass am Berg, und selbst auf diese Entfernung konnte man sehen, dass sie mit großer Geschwindigkeit liefen. Ihre Zähne blitzten weiß und wild, und sie hielten primitive Waffen aus Holz und Stein. Sie trugen keine Kleidung, und sobald sie näher kamen, wurde klar, dass auch Frauen unter ihnen waren.
    »Sieh zu«, sagte der junge Mann zu seiner Linken.
    Unten ertönte ein Schrei. Eine andere Gruppe kam angelaufen und strömte aus einem verborgenen Spalt im Hang. Abgesehen von ihren an Kriegsbemalung erinnernden Schlammstreifen auf Gesicht und Brust konnte man sie nicht von der Meute in der Ferne unterscheiden. Die Schreie der beiden Gruppen wurden lauter, als sie einander entdeckten, ihre Marschrichtung änderten und aufeinander zustürmten.
    »Was tun sie?«, wollte Connelly wissen.
    »Sieh zu«, antwortete der junge Mann.
    »Was wird passieren?«
    »Du musst zusehen.«
    Als sich die Entfernung zwischen beiden Gruppen verringerte, stießen alle Schreie lupenreiner, von Herzen kommender Wut aus. Viele Waffen streckten sich wie mit einem wilden Salut dem Himmel entgegen; Axt, Speer und primitive Klingen konnten es kaum erwarten zuzuschlagen.
    Die beiden Gruppen trafen aufeinander. Auf dem weißen Sand spritzte es gewaltig. Blutrote Fontänen schossen durch die Luft und malten anmutige Kreise auf den Wüstenboden. Axt und Speer hoben sich und schlugen zu, verursachten Blutregen. Connelly sah, wie ein Mann in Bauchhöhe durchbohrt wurde. Er stürzte kreischend auf die Knie, während sich eine angemalte Frau vorbeugte und anfing, mit einer kleinen schwarzen Klinge auf seinen Nacken einzuhacken. Ein weiterer bemalter Soldat stand über einem gefallenen Gegner und zerschlug den Kopf des Mannes mit einem großen flachen Stein zu Brei. Dabei stieß er unartikulierte Schreie aus und schien gar nicht zu bemerken, dass der Mann tot war. Vielleicht war es ihm auch egal. Vielleicht konnte der Gegner gar nicht tot genug sein.
    Es war Connelly unmöglich, die Schmerzensschreie von den Triumphschreien zu unterscheiden, die Siegestänze von den Todeszuckungen, Qual von der Freude. Er sah zu, wie eine Frau einen abgetrennten Kopf in die Höhe hielt und vor Freude kreischte, nur um dann von einem bemalten Mann angegriffen zu werden, der ihre Trophäe begehrte. Seine Keule beschrieb einen Bogen, und ihr Knie beugte sich auf unnatürliche Weise, während der Kopf aus ihren Fingern glitt. Zwei seiner Kameraden drängten sich um sie, um auf den Teil von ihr, der noch lebte, einzuschlagen.
    »Warum tun sie das?«, fragte Connelly.
    »Warum?«, fragte der junge Mann. »Dieses Wort kennen sie nicht einmal. Würdest du sie fragen, wüssten sie keine Antwort.«
    »Wer sind sie?«
    »Mörder. Mörder von Menschen. Mörder von allem, was getötet werden kann. Das ist alles, was sie wissen oder wissen wollen.«
    »Also töten sie völlig grundlos? Nicht für Land? Aus Hass?«
    »Sie kennen weder Territorium noch die Vergangenheit. Deshalb können sie auch nicht verstehen, was Hass bedeutet. Vielleicht wissen sie eines Tages, was er bedeutet. Vielleicht verstehen sie ihn irgendwann und benutzen ihn dann als Grund, als Antrieb. Aber der Hass ist nicht ihre Motivation.«
    »Was denn?«
    Der junge Mann zeigte mit dem Finger. Der Wüstenboden war nun dunkelrot. Er erinnerte Connelly an ein großes rotes Auge, an einen Kreis aus Weiß und einen Kreis aus Rot, und dann einen Kreis aus funkelndem, zuckendem Braun. Es stand so gut wie keiner mehr auf den Beinen.
    »Sie töten ihre Freunde«, sagte Connelly.
    »Sie haben keine Freunde. Für sie sind Freunde lediglich ein Mittel, mit dem sie ihre Feinde bezwingen können. Und wenn sie ihre Feinde niedergerungen haben, wer bleibt da noch übrig? Nur noch mehr Feinde.«
    »Sie werden es lernen. Irgendwann werden sie es doch lernen.«
    »Das haben sie noch nicht.«
    »Wie lange sind sie schon hier?«
    »Sie sind schon immer hier gewesen. Sie verändern sich. Die Art der Schlacht verändert sich, der Einsatz wird höher, aber die Schlacht selbst ist immer da.«
    »Sie könnten aufgeben. Sie könnten an einen anderen Ort gehen. In Frieden leben.«
    »Es gibt kein Leben in Frieden«, erklärte der junge Mann.
    »Was?«, fragte Connelly. »Das stimmt nicht.«
    »Doch. Jedes Leben ist ein Kampf. Es geht immer nur um die Schlacht. Diese Menschen wählen diesen Weg, weil es einfacher ist. Es ist leichter für sie.«
    »Ich kannte einst Frieden. Einst lebte ich ein friedliches Leben.«
    »Dann geh dahin

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