Mr. Shivers
Connelly versuchte sich umzudrehen, um den kleinen Mann sehen zu können, aber es gelang ihm nicht. Plötzlich fuhr ein greller Schmerz in sein Handgelenk, er stöhnte auf und rutschte nach vorn und versuchte, seine Hand in der Stahlfessel zu drehen. Er konnte nicht sehen, was der Sheriff gemacht hatte, war aber überzeugt, dass das Handgelenk nun gebrochen war.
»Ach, entspann dich, mein Sohn«, sagte der Sheriff. »Das ist nicht mal eine Haarfraktur. Wenn überhaupt.«
Roosevelt murmelte etwas.
»Was war das? Was?«
»Ich sagte, das können Sie nicht machen«, sagte Roosevelt.
»Was kann ich nicht machen?«
»Ein paar Leute zusammentreiben und sie an den Boden fesseln, um sie dann völlig grundlos zu verprügeln.«
»Ich habe einen Grund. Ihr habt auf einem Zug ein paar Männer getötet. Gute Männer. Habt sie umgebracht, als wären sie Tiere.«
»Das haben wir nicht getan.«
Der Sheriff sah sie an. Der Blick in seinen Augen war flach und tot. Gedankenverloren. Bei einem so drolligen kleinen alten Mann wirkte er fremdartig. »Doch, das habt ihr.«
»Das können Sie nicht machen«, wiederholte Roosevelt. »Sie können keine Gefangenen zusammenschlagen. Es gibt Gesetze. Das hier ist Amerika.«
»Was soll Amerika sein?«
»Was? Na, das hier. Das alles hier.«
»Das hier?«, fragte der Sheriff und zeigte auf den nüchternen grauen Raum.
»Nein, dieses … dieses Land. Wir … wir sind doch in Amerika. Es gibt Gesetze.«
»Zeig es mir«, forderte ihn der Sheriff auf.
»Was?«
Der Sheriff grinste. »Zeig mir Amerika.«
»Ich weiß nicht, was ich …«
»Wenn es mir sagen soll, was ich tun kann und was nicht, dann sollte es besser zur Stelle sein, verstehst du?«
Roosevelt runzelte die Stirn.
»Zeig mir ein Gesetz«, verlangte der Sheriff. »Heb es auf und zeig es mir. Zeig mir ein Stück Amerika. Ist es dieses Land? Das ist bloß der Dreck, auf dem wir stehen, mein Sohn. Dreck und Steine. Es gibt keine Buchstaben in der Erde, keine Anweisungen, die sagen, was ich tun kann und was nicht. Zeig mir ein Recht. Heb es auf, halte es mit deinen Händen fest, halte es mir unter die Nase und zeig mir eine Zeile, die besagt, dass ich nicht tun kann, was ich gerade tue. Zeig mir, dass das hier verboten ist.«
»Das ist Amerika«, beharrte Roosevelt.
»Amerika ist irgendwo im Osten«, sagte der Sheriff. »Im Osten gibt es Rechte. Du bist hier ganz allein. Und niemanden schert das auch nur im Mindesten. Verstanden?« Er schlug Roosevelt das Rohr gegen den Hals. Roosevelt würgte und schrie auf. Speichelfäden hingen von seiner Lippe.
Der Sheriff ging in die Hocke und lächelte Roosevelt ins Gesicht. »All diese Sachen, von denen du da redest«, sagte er. »Diese ganzen Sachen. Nun, wenn du sie herbeischaffst, wirst du sehen, dass sie bloß erfunden sind. Eine Einbildung. Wie der Weihnachtsmann. Sie sind bloß real, wenn du und alle anderen die Augen schließen und mit jeder Faser eurer kleinen, hübschen Herzen so tun, als gäbe es sie. Doch hier draußen ist niemand bereit, das zu tun, mein Sohn. Also«, flüsterte er, »willst du sehen, was real ist?«
Er lächelte, griff hinter sich und hielt das Bleirohr in die Höhe wie ein Anwalt, der den Beweis vorlegte. Er legte es vor sie auf den Zementboden. Dann zog er seine Waffe, deren Eisen auf bösartige Weise schwarz schimmerte, und legte sie vor Roosevelt hin. Alle folgten seinen Bewegungen, sahen sie an.
»Argumentier mit ihr, wie du es vor Gericht machen würdest«, sagte er. »Fordere deine Rechte von ihr. Na los. Mach schon.«
Keiner von ihnen sagte ein Wort.
Der Sheriff lächelte. »Mit solchen Dingen macht man einen Ort viel … sagen wir, realer als mit Gesetzen und Rechten. Was ist mit dir, alter Mann«, wandte er sich an Pike. »Was hast du dazu zu sagen?«
Pikes kalter Blick suchte den des Sheriffs. »Gesetze sind von Menschenhand gemacht«, sagte er. »Ich diene einer höheren Macht. Einer Macht, die größer als jedes Gemetzel ist, zu dem Ihr Herz und Ihre Hände fähig sind.«
Der Sheriff lachte. »Wenn Gott runterkommen und mich wegen meiner Taten schelten will, dann …«
»Ich wette, wenn der Mann mit den Narben hereinkäme und Ihnen befehlen würde, das hier sein zu lassen, würden Sie springen«, unterbrach Connelly ihn.
Der Sheriff erstarrte und sah ihn mit vor Wut zusammengekniffenen Augen an. »Was?«
»Sie gehören zu ihm, nicht wahr? Er hat ihnen etwas Geld in die Tasche gesteckt, damit Sie uns festhalten. Richtig?«
Der
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