Mr. Vertigo
zehntausendmal seinen Namen aufzusagen. Er ließ mich ein Schweigegelöbnis ablegen, worauf ich vierundzwanzig Tage lang mit keinem sprach und nicht mal einen Mucks von mir gab, wenn ich allein war. Er befahl mir, mich durch den Hof zu wälzen, er befahl mir zu hüpfen, er ließ mich durch Reifen springen. Er brachte mir bei, nach Belieben zu weinen, und dann brachte er mir bei, gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Er brachte mich dazu, mir selbst das Jonglieren beizubringen, und als ich es mit drei Steinen konnte, musste ich es mit vieren versuchen. Eine Woche musste ich mit verbundenen Augen, eine Woche mit zugestöpselten Ohren rumlaufen, und dann ließ er mich eine Woche mit gefesselten Armen und Beinen auf dem Bauch rumkriechen wie einen Wurm.
Anfang September schlug das Wetter um. Wolkenbrüche, Blitz und Donner, heftige Stürme, ein Tornado, der uns beinah das Haus wegtrug. Das Grundwasser stieg wieder, aber ansonsten waren wir nicht besser dran als zuvor. Die Ernte war verloren, wir konnten die langfristigen Vorräte nicht auffüllen, unsere Zukunftsaussichten waren düster und auf jeden Fall beunruhigend. Der Meister berichtete, die Farmer in der ganzen Gegend habe es ähnlich schwer getroffen, die Stimmung in der Stadt werde langsam bedrohlich. Die Preise seien im Keller, es gebe kaum noch Kredit, Gerüchte sprächen bereits von der Zahlungsunfähigkeit der Banken. Wenn die Geldbeutel leer sind, sagte der Meister, füllen sich die Köpfe mit Zorn und Schmutz. «Von mir aus können diese Bauernlümmel alle vor die Hunde gehen», fuhr er fort, «aber irgendwann werden sie anfangen, nach jemand Ausschau zu halten, dem sie die Schuld für ihre Schwierigkeiten in die Schuhe schieben können, und dann sollten wir vier lieber das Weite suchen.» Während dieses ganzen seltsamen Herbstes voller Gewitter und Wolkenbrüche machte Meister Yehudi einen besorgten und zerstreuten Eindruck, als sei er ständig in Gedanken über irgendeine unsagbare Katastrophe versunken, die so finster waren, dass er sie nicht auszusprechen wagte. Nachdem er mich den ganzen Sommer über verhätschelt und mit seinem Zuspruch durch die Unbilden meiner geistigen Übungen geführt hatte, schien er plötzlich das Interesse an mir verloren zu haben. Er war jetzt häufiger außer Haus, ein paarmal kam er mit einer ziemlich eindeutigen Schnapsfahne zurückgestolpert, und seine Studien mit Äsop hatte er so gut wie vollständig aufgegeben. Eine ungewohnte Traurigkeit lag in seinen Augen, sein Blick hatte etwas Wehmütiges und Ängstliches. Ich sehe vieles davon heute nur noch undeutlich, weiß aber, dass er in den kurzen Augenblicken, in denen er mich mit seiner Gesellschaft beehrte, überraschend freundlich zu mir war. An einen Vorfall erinnere ich mich besonders deutlich: Eines Abends Anfang Oktober kam er, eine Zeitung unterm Arm, ins Haus und grinste mich an. «Ich habe gute Neuigkeiten für dich», sagte er, setzte sich und breitete die Zeitung auf dem Küchentisch aus. «Deine Mannschaft hat gewonnen. Ich hoffe, das freut dich, denn hier steht, dass es achtunddreißig Jahre her ist, seit sie das letzte Mal Meister geworden sind.»
«Meine Mannschaft?», fragte ich.
«Die Cardinals aus Saint Louis. Das ist doch deine Mannschaft, oder?»
«Und ob. Zu denen halt ich bis in alle Ewigkeit.»
«Tja, und die haben gerade die World Series gewonnen. Nach dem, was hier steht, war das siebte Spiel der atemberaubendste, der spannendste Kampf aller Zeiten.»
So erfuhr ich, dass meine Jungs die Champions von 1926 geworden waren. Dann las mir Meister Yehudi den Bericht über das dramatische siebte Inning vor, in dem Tony Lazzeri von Grover Cleveland Alexander mit drei Strikes bei besetzten Bases ausgeschaltet worden war. Anfangs glaubte ich, er hätte sich das ausgedacht. Soviel ich wusste, war Alexander der Star der Philly-Mannschaft, während mir der Name Lazzeri gar nichts sagte. Hörte sich an wie ein Haufen exotischer Nudeln mit Knoblauchsauce, bis mir der Meister alles erklärte. Lazzeri war in diesem Jahr das erste Mal dabei, und Grover war mitten in der Saison an die Cardinals verkauft worden. Er hatte noch am Tag davor bei neun Innings geworfen, die Yanks praktisch im Alleingang besiegt und den 3 : 3-Ausgleich in den Spielen der Serie hergestellt; Rogers Hornsby hatte ihn von der Bank geholt, um mit allen Mitteln einen Durchmarsch zu verhindern. Und dann ist der alte Fuchs, sternhagelvoll von der Sauferei der letzten Nacht, aufs Feld
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