Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
na ja, dann weiß ich, was ich zu tun habe.«
»Das tut mir leid.« Er fühlte sich ein wenig angegriffen.
»Und wenn ich dafür das Tanzen aufgeben und Altweiberschuhe tragen muss …« Sie grinste ihn verschwörerisch an. »Dann mache ich das eben, solange es sein muss.«
Wenige Tage später, am vierundzwanzigsten Dezember, dem Tag vor dem Weihnachtsfest, traf er Amina auf der Straße vor seinem Haus. Sie drückte sich schlotternd in die Hecke und rauchte eine Zigarette. Er lächelte sie an. Sie wirkte nervös.
»Eigentlich rauche ich gar nicht mehr«, sagte sie, drückte die Kippe mit ihrem bequemen Schuh aus und kickte sie weg. »Sobald ich verheiratet bin, muss Abdul Wahid die alte Schrulle nach Hause schicken. Vor der gruselt es mir.«
»Kommen Sie nicht mit ihr aus?«, fragte der Major, und einen schwindelerregenden Augenblick lang blitzte in ihm die Hoffnung auf, Mrs. Ali könnte zurückkommen.
»Angeblich war sie bei sich im Heimatdorf die Hebamme.« Amina erzählte es, als führte sie ein Selbstgespräch. »Wenn Sie mich fragen, ist das ein Codewort für so was wie ›Hexe‹.« Sie sah ihn an. In ihren dunklen Augen loderte der Zorn. »Wenn sie George noch ein einziges Mal zwickt, schlage ich sie grün und blau.«
»Haben Sie etwas von Mrs. Ali – von Jasmina gehört?«, fragte er, verzweifelt bemüht, ihren Namen in das Gespräch einzuflechten. »Sie könnte doch zurückkommen und Ihnen helfen.«
Amina zögerte, als wollte sie etwas Bestimmtes nur sehr ungern sagen, doch dann platzte es aus ihr heraus: »Die sagen, wenn es Jasmina nicht gefällt, da, wo sie ist, dann muss sie eben nach Pakistan zu ihrer Schwester.«
»Aber sie wollte doch nie nach Pakistan«, sagte der Major entsetzt.
»Keine Ahnung. Ist auch nicht mein Job, mich da einzumischen.« Sie wandte den Blick ab, in dem der Major Schuldgefühle erkannt zu haben glaubte. »Das muss sie schon selbst regeln.«
»Ihr Glück war ihr wichtig«, wandte der Major in der Hoffnung ein, Amina zu einem ähnlichen Verantwortungsgefühl bewegen zu können, wie es Mrs. Ali ihr gegenüber empfand.
»Das Leben lässt sich nicht auf etwas so Simples wie Glück reduzieren. Man muss immer irgendeinen verdammten Kompromiss schließen – zum Beispiel, den Rest des Lebens in einem beschissenen Laden zu arbeiten.«
»Ich sollte doch George das Schachspielen beibringen.« Dem Major wurde bewusst, dass er sich an die allerletzte verbliebene Verbindung zu Jasmina klammerte, wie dürftig sie auch sein mochte.
»Er hat ziemlich viel am Hals zurzeit«, gab sie auffallend hastig zurück. »Und seine Freizeit verbringt er mit seinem Vater.«
»Ja, natürlich«, sagte der Major, und in der sanften Kälte dort auf der Straße schmolz seine Hoffnung dahin.
Er gab ihr die Hand, und Amina schüttelte sie, obwohl sie erstaunt wirkte. »Ich bewundere Ihre Beharrlichkeit, junge Frau«, sagte er. »Menschen wie Sie schaffen es, ihr Leben zu meistern. George kann sich glücklich schätzen.«
»Danke.« Sie drehte sich um und machte sich auf den Weg den Hügel hinunter. Nach ein paar Schritten wandte sie noch einmal den Kopf und verzog das Gesicht. »Könnte sein, dass George den Tag morgen anders sieht als Sie. Seit wir mit seinem Vater zusammenleben, sage ich ihm, dass Weihnachten nur etwas mit der Ladendekoration zu tun hat. So wie früher, als seine Großmutter und ich ihm immer Geschenke unters Kopfkissen gelegt haben, wird es nicht mehr sein.«
Während sie aus seinem Blick verschwand, überlegte der Major, ob es zu spät sei, um rasch in die Stadt zu fahren und George ein solides, aber nicht übertrieben teures Schachspiel zu kaufen, gab die Idee aber gleich wieder auf. Er wollte dem törichten menschlichen Drang, sich einzumischen, ohne erwünscht zu sein, nicht nachgeben. Zu Hause würde er endlich das kleine Buch mit den Kipling-Gedichten wegräumen, das noch immer auf dem Kaminsims lag. Es hatte keine Nachricht darin gesteckt (er hatte die Seiten in der Hoffnung auf einen kleinen Abschiedsgruß ausgeschüttelt), und es war albern, das Büchlein wie einen Talisman herumliegen zu lassen. Er würde es ins Regal stellen und dann nach Little Puddleton fahren und ein Weihnachtsgeschenk für Grace kaufen; etwas Schlichtes, Geschmackvolles, das tiefe Freundschaft ausdrückte, ohne irgendeinen Unsinn anzudeuten. Fünfzig Pfund sollten reichen. Dann würde er Roger anrufen und ihm mitteilen, dass er einen weiteren Gast zum Essen zu erwarten
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