Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Babysitten und bringen Salate und so. Ich musste jetzt eine Woche lang nichts zu essen machen.«
»Das ist dann ja eine ganz angenehme Auszeit, oder?« Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Das Wasser im Kessel begann zu kochen. Jemima holte zwei klobige, hässlich geformte, in einem merkwürdigen Olivgrün gehaltene Tassen und eine mit Blumenmotiven versehene Schachtel Teebeutel aus dem Schrank.
»Kamille, Brombeere oder Klette?«, fragte sie.
»Ich hätte gern richtigen Tee, wenn ihr welchen dahabt«, entgegnete der Major. Jemima streckte sich zum obersten Fach eines Küchenschranks und holte eine Dose mit Schwarztee in Teebeuteln herunter. Einen davon warf sie in eine Tasse und füllte diese bis zum Rand mit kochendem Wasser. Die Flüssigkeit verströmte sofort den Geruch von nasser Wäsche.
»Wie geht es deiner Mutter?«
»Komisch, dass mich die Leute das ständig fragen. ›Wie geht es deiner armen Mutter?‹ – als wäre ich irgendein unbeteiligter Beobachter.«
»Wie geht es euch beiden?« Er schaffte es, sich eine giftigere Erwiderung zu verkneifen, aber sein Unterkiefer zuckte dabei. Jemimas deutliche Anspielung auf die Gefühllosigkeit der Leute reichte nicht weit genug, als dass sie ihn gefragt hätte, wie er mit der Situation fertig wurde.
»Sie ist sehr aufgeregt«, vertraute sie ihm an. »Es steht nämlich unter Umständen ein Preis ins Haus, weißt du – vom Königlichen Institut für Versicherungswesen und Versicherungsmathematik. Die haben vor drei Tagen angerufen, aber es kann offenbar noch nicht bestätigt werden. Entweder bekommt Dad den Preis oder irgendein Professor, der eine neue Methode erfunden hat, wie man Versicherungsprämien von osteuropäischen Einwanderern absichern kann.«
»Wann erfahrt ihr es?« Der Major fragte sich, warum die Welt offenbar immer bis zum Tod wartete, bis sie den Menschen gab, was ihnen gebührte.
»Na ja, der andere hat einen Schlaganfall erlitten und wird künstlich beatmet.«
»Das tut mir leid.«
»Wenn er am dreiundzwanzigsten dieses Monats – das ist das Ende des Geschäftsjahres – noch lebt, dann kriegt aller Wahrscheinlichkeit nach Dad den Preis. Posthum ist es ihnen offenbar lieber.«
»Das ist ja fürchterlich.«
»Ja, grauenhaft.« Sie nippte an ihrem Tee, wobei sie den Beutel am Faden zur Seite zog. »Ich habe sogar in der Klinik in London angerufen, aber die wollten mir nichts über seinen Zustand sagen. Ich habe denen zu verstehen gegeben, dass ich das in Anbetracht des Leids meiner armen Mutter äußerst rücksichtslos finde.«
Der Major zupfte an dem Faden in seiner eigenen Tasse. Der aufgeblähte Beutel drehte sich im braunen Wasser. Er stellte fest, dass ihm die Worte fehlten.
»Ernest, wie schön, dich zu sehen! Du hättest vorher anrufen und uns sagen sollen, dass du kommst.« Marjorie betrat die Küche in einem wallenden schwarzen Wollrock und einer schwarz-violetten Rüschenbluse, die aussah, als wäre sie auf die Schnelle aus einem Sargtuch genäht worden. Er erhob sich, unschlüssig, ob die Umstände es erforderlich machten, sie zu umarmen, aber sie schlüpfte hinter die Theke zu Jemima, und die beiden sahen ihn an, als wäre er gekommen, um in der Post Briefmarken zu kaufen. Er beschloss, einen forschen, geschäftsmäßigen Ton anzuschlagen.
»Tut mir leid, dass ich einfach so hereinplatze, Marjorie«, sagte er. »Aber Mortimer Teale und ich haben mit der Arbeit am Nachlass begonnen, und ich wollte gern ein oder zwei kleine Punkte mit dir klären.«
»Du weißt doch, dass ich für so etwas überhaupt kein Talent habe, Ernest. Du kannst bestimmt das meiste Mortimer überlassen, er ist ein wirklich kluger Mann.« Sie zupfte an den verknäulten Schnüren inmitten des aussortierten Krimskrams, ließ sie dann aber wieder los.
»Gut möglich, aber er ist kein Familienmitglied und deshalb wahrscheinlich nicht in der Lage, bestimmte Feinheiten auszuloten – oder manche von Berties Absichten richtig zu beurteilen, wenn ich so sagen darf.«
»Das Testament meines Vaters ist absolut eindeutig, finde ich«, sagte Jemima. Ihre Augen glänzten wie die einer Möwe beim Anblick einer Mülltüte. »Dass da irgendwer Fragen aufwirft und Mutter damit verunsichert, ist nun wirklich unnötig.«
»Genau«, erwiderte der Major. Er atmete ganz langsam ein und aus. »Es ist viel besser, das Ganze innerhalb der Familie zu klären und alles Unerfreuliche zu vermeiden.«
»Unerfreulich ist es sowieso«, stieß Marjorie hervor und
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