Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Sandwich, das mittlerweile so appetitlich aussah wie zwei mit Rosshaar gefüllte Gummimatten. Er schob den Teller weg und bestellte mit einer Handbewegung noch ein Lager bei Tom.
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Siebtes Kapitel
S ein Wagen stand schon neben Marjories spindeldürrem Brunnen, und in dem doppelverglasten Erkerfenster über der Haustür hatte ein Gesicht bereits seine Anwesenheit registriert, da kamen die Bedenken. Er hätte sich telefonisch anmelden sollen. Die Illusion, er sei jederzeit gern gesehen, weil er zur Familie gehöre, ließ sich nur so lange aufrechterhalten, wie er Marjorie nicht beim Wort nahm.
Schon kurz nach ihrer Hochzeit war offensichtlich geworden, dass Marjorie nicht die Absicht hatte, die pflichtbewusste Schwiegertochter zu spielen, sondern ihren Mann und sich selbst so weit wie möglich vom Rest der Familie zu separieren. Der modernen Form der Ehe entsprechend, hatten sie einen aus zwei Menschen bestehenden Nukleus gebildet und damit begonnen, ihre winzige Wohnung mit hässlichen neuen Möbeln und Freunden aus Berties Versicherungsbüro vollzustopfen. Von Anfang an widersetzten sie sich einer alten Familientradition, dem sonntäglichen Mittagessen in Rose Lodge, kamen stattdessen immer erst spätnachmittags vorbei, tranken dann aber anstelle der angebotenen Tasse Tee lieber einen Cocktail. Während seine Mutter, starr vor sonntäglichem Missmut, ihren Tee trank, unterhielt Marjorie die ganze Familie mit Berichten über ihre neuesten Anschaffungen. Der Major gönnte sich dann immer einen kleinen Sherry – ein klebriger, unerfreulicher Versuch, die Kluft zu überbrücken. Nancy verlor ziemlich schnell die Geduld mit den beiden. Sie nannte Bertie und Marjorie nur noch die »Pettigrusels« und forderte Marjorie zum Entsetzen des Majors auf, detailliert darzulegen, wie viel ihre jeweils jüngsten Anschaffungen gekostet hatten.
Die Haustür blieb geschlossen. Vielleicht hatte er sich das Gesicht am Fenster nur eingebildet. Oder aber sie wollten ihn nicht sehen und duckten sich in der Hoffnung, dass er ein paarmal läuten und dann wegfahren würde, hinter das Sofa. Er klingelte noch einmal. Wieder ertönten die ersten Takte von
Freude, schöner Götterfunken
und hallten tief ins Haus hinein. Er betätigte den Türklopfer, einen Weinrebenkranz aus Messing mit einer Weinflasche in der Mitte, und starrte auf die geschmacklose Eichenholzmaserung der Tür. Irgendwo wurde eine Tür geschlossen, und endlich klapperten Absätze über die Bodenfliesen. Dann ging die Haustür auf. Jemima trug eine graue Jogginghose und ein ärmelloses schwarzes Top mit Rollkragen; ein weißes Schweißband hielt ihr Haar aus dem Gesicht. Angezogen wie eine Mischung aus Nonne und Leistungssportlerin, dachte der Major. Sie sah ihn so böse an, als wäre er ein Staubsaugervertreter oder ein evangelikaler Missionar.
»Erwartet meine Mutter dich?«, fragte sie. »Ich habe sie nämlich gerade dazu bringen können, sich ein paar Minuten hinzulegen.«
»Ich bin leider auf gut Glück hergefahren«, antwortete der Major. »Aber ich kann auch später wiederkommen.« Er betrachtete sie genauer. Sie war ungeschminkt, ihre Haare hingen schlaff herab. Sie sah wieder aus wie die schlaksige Fünfzehnjährige mit der schlechten Haltung, die sie früher einmal gewesen war. Mürrisch, aber mit Berties hellen Augen und kräftigem Kinn.
»Ich mache gerade meine Heilyoga-Übungen«, sagte sie. »Aber du kommst besser rein, solange ich hier bin. Ich will nicht, dass Mutter gestört wird, wenn ich nicht da bin.« Sie drehte sich um, ging zurück ins Haus und ließ die Tür offen, so dass der Major sie schließen musste.
»Du möchtest wahrscheinlich eine Tasse Tee?«, sagte sie, als sie in die Küche traten. Sie schaltete den Wasserkocher ein und blieb hinter der u-förmigen Theke stehen, auf der ein Haufen Krimskrams aus einer Schublade lag, die offenbar jemand auszumisten begonnen hatte. »Mutter steht sowieso bald wieder auf. Sie kann zurzeit einfach nicht stillliegen.« Sie senkte den Kopf, klaubte ein paar kurz gespitzte Bleistifte aus dem Haufen und legte sie zu den bereits aussortierten in der Mitte zwischen einem Stapel Batterien und einem kleinen Knäuel verschiedenfarbiger Schnüre.
»Ist der kleine Gregory heute nicht da?«, fragte der Major, während er auf einem Holzstuhl am Frühstückstisch in der Fensternische Platz nahm.
»Eine Freundin von mir holt ihn von der Schule ab«, antwortete Jemima. »Die helfen alle ganz toll mit
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