Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
wischte sich mit einem Blatt Küchenkrepp über die Augen. »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass Bertie mir das angetan hat.« Sie brach in heiseres, unangenehmes Schluchzen aus.
»Ich ertrage es nicht, wenn du weinst, Mutter.« Jemima berührte ihre Mutter an den Schultern, tätschelte sie, hielt sie sich dabei aber auf Armeslänge vom Leib. Ihr Gesicht war verzerrt; ob vor Kummer oder vor Abscheu, wusste der Major nicht zu sagen.
»Ich wollte dich nicht in Aufregung versetzen«, brachte er zaghaft hervor. »Ich kann ein andermal wiederkommen.«
»Alles, was du Mutter zu sagen hast, kannst du jetzt sagen, während ich dabei bin«, entgegnete Jemima. »Ich lasse nicht zu, dass man sie behelligt, wenn sie allein und verletzlich ist.«
»Jemima, meine Liebe, nun sei doch nicht so grob zu deinem Onkel Ernest!«, sagte Marjorie. »Er ist jetzt einer der wenigen Freunde, die wir noch haben. Wir müssen darauf vertrauen, dass er sich um uns kümmert.« Sie tupfte sich die Augen ab und brachte etwas zustande, das einem zittrigen Lächeln ähnelte. Der Major sah zwar hinter diesem Lächeln einen Anflug von eiserner Entschlossenheit, aber es versetzte ihn in eine hoffnungslose Lage. Angesichts der weinenden Witwe seines Bruders war es völlig ausgeschlossen, auf geziemende Weise um sein Gewehr zu bitten.
Er sah die Flinte bereits entgleiten, die samtene Vertiefung in dem Koffer für zwei Gewehre auf immer unausgefüllt bleiben und seine eigene Flinte niemals wieder mit ihrem Pendant vereint. Er spürte seine Einsamkeit, spürte, dass er ohne Frau und Familie bleiben würde, bis die kalte Erde oder die Hitze des Krematoriumsofens ihr Recht auf ihn erhoben. Seine Augen wurden feucht, und er glaubte, aus dem Potpourriduft in der Küche Asche herauszuriechen. Erneut erhob er sich von seinem Stuhl und beschloss, das Gewehr nie wieder zu erwähnen, sondern zu seinem eigenen kleinen Kamin zurückzukehren und im Alleinsein Trost zu finden. Vielleicht würde er sogar einen Koffer für nur ein Gewehr bestellen, etwas mit einem schlichten silbernen Monogramm und einer etwas dezenteren Auskleidung als dunkelrotem Samt.
»Ich werde dich nicht mehr damit belästigen«, versicherte er Marjorie, und sein Herz füllte sich mit der wohligen Wärme der Opferbereitschaft. »Mortimer und ich erledigen den Papierkram. Wir werden uns über alles einigen.« Er ging zu Marjorie hinüber und ergriff ihre Hand. Sie roch nach den frisch lackierten malvenfarbenen Fingernägeln und ganz leicht nach Lavendelhaarspray. »Ich kümmere mich um alles«, versprach er.
»Danke, Ernest.« Marjories Stimme klang schwach, doch ihr Händedruck war fest.
»Und was ist nun mit den Gewehren?«, wollte Jemima plötzlich wissen.
»Ich mache mich dann jetzt auf den Heimweg«, sagte der Major zu Marjorie.
»Besuch uns mal wieder, ja? Deine Unterstützung ist sehr tröstlich für mich«, entgegnete sie.
»Aber das mit den Gewehren sollten wir vorher aus der Welt schaffen«, sagte Jemima noch einmal, und diesmal ließ sich ihre Stimme nicht mehr einfach ausblenden.
»Das müssen wir nicht jetzt besprechen«, meinte Marjorie mit zusammengekniffenen Lippen. »Dafür ist später immer noch Zeit.«
»Mutter, du weißt, dass Anthony und ich das Geld jetzt brauchen. Die Privatschule ist nicht billig, und wir müssen schon früh eine Anzahlung für Gregory leisten.«
Der Major fragte sich, ob die Krankenschwester in der Klinik sein hervorragendes EKG vielleicht falsch ausgelesen hatte. Ihm wurde eng in der Brust, gleich würde der Schmerz einschießen. Nicht einmal sein edelstes Opfer wollten sie anerkennen. Man hatte ihm verwehrt, sich zurückzuziehen, ohne das Thema anzusprechen, und wollte ihn obendrein zwingen, den Verzicht auf sein eigenes Gewehr in Worte zu fassen. Doch in seine Brust schoss nicht Schmerz, sondern Wut. Er ging in Habachtstellung – eine Körperhaltung, die er immer als entspannend empfand – und versuchte, ausdruckslos und ruhig zu bleiben.
»Damit befassen wir uns später«, sagte Marjorie noch einmal. Es sah aus, als würde sie Jemimas Hand tätscheln, aber der Major hatte den Verdacht, dass sie ihre Tochter in Wirklichkeit übel kniff.
»Wenn wir es aufschieben, denkt er sich doch nur wieder etwas Neues aus«, flüsterte Jemima in einer Lautstärke, die ihre Worte bis in die hinterste Reihe der Royal Albert Hall getragen hätte.
»Soll das heißen, dass du über die Jagdflinten meines Vaters reden willst?« Der aufgebrachte Major
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