Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
Vom Netzwerk:
gelegt. Mrs. Ali lächelte ihm von hinten zu. Sie war auf die Rückbank gerutscht, nachdem Grace einen langen, wirren Monolog darüber gehalten hatte, wer wo sitzen sollte und warum es ihr nichts ausmache, hinten zu sitzen, dass allerdings der Major nicht allein vorn sitzen dürfe wie ein Taxifahrer. Der Major hatte vorgeschlagen, getrennt zu fahren, da er sich hinterher gleich mit Roger treffen musste, aber Grace hatte erklärt, sie müsse sowieso unbedingt bei dem berühmten Wollgeschäft in Little Puddleton vorbeischauen, und war nicht davon abzubringen gewesen, das Ganze zu einem Ausflug zu machen. Der Major betete darum, er möge das Auto auf Anhieb in die Parklücke manövrieren.
    Eine gut gepolsterte Frau mit breitem, strahlendem Gesicht und wallendem senfgelbem Kopftuch wartete bereits im verglasten Eingang. Ihre Füße, die in hochhackigen Schuhen steckten, waren so winzig, dass der Major sich fragte, wie sie auf ihnen die Balance halten konnte. Doch als sie losstöckelte, um die Besucher zu begrüßen, bewegte sie sich mit der Leichtigkeit eines Heliumballons. Lächelnd winkte sie ihnen mit ihrer pummeligen, üppig beringten Hand zu.
    »Ah, da ist ja meine Freundin Mrs. Rasool«, sagte Mrs. Ali, winkte zurück und bereitete sich darauf vor, aus dem Auto zu steigen. »Sie und ihr Mann besitzen zwei Restaurants und ein Reisebüro. Richtige Tycoons sind die beiden.«
    »Wirklich?« Grace wirkte schwer beeindruckt von der Frau, die jetzt vor der Lokaltür auf den Zehenspitzen wippte. »Dafür braucht man aber doch bestimmt viel Energie.«
    »Ja, Najwa ist sehr engagiert.« Mrs. Ali lachte. »Und außerdem die härteste Geschäftsfrau, die ich kenne – aber nicht verraten, dass ich das erzählt habe! Sie tut nämlich immer so, als hätte ihr Mann das Sagen.« Mrs. Ali stieg aus und verschwand sofort in einer gewaltigen senfgelben Umarmung.
    »Najwa, ich möchte dir Major Pettigrew und Miss Grace DeVere vorstellen«, sagte sie, noch immer bei ihrer Freundin untergehakt.
    »Mr. Rasool, mein Mann, und ich freuen uns, dass Sie unser bescheidenes Restaurant und unseren Festsaal beehren«, sagte Mrs. Rasool und begrüßte Grace und den Major mit einem herzlichen Händedruck. »Wir sind ein ganz kleiner Betrieb – alles in Eigenregie und hausgemacht, wissen Sie –, aber wir bedienen hier bis zu fünfhundert Gäste, und alles immer schön heiß und frisch. Aber kommen Sie doch und sehen Sie selbst …« Und schon rauschte sie ins Restaurant und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. Der Major hielt den Damen die Tür auf und ging ihnen nach.
    In dem höhlenartigen Lokal waren mehrere Tische besetzt. Zwei Frauen, die in Fensternähe zu Mittag aßen, nickten Mrs. Ali zu, aber nur eine von ihnen lächelte dabei. Andere Gäste, so erschien es dem Major, hoben verstohlen den Blick. Er starrte unverwandt auf die Bodenfliesen und versuchte, sich nicht fehl am Platz zu fühlen.
    Die Fliesen trugen noch Narben aus der Zeit des Polizeireviers. In der Mitte des Raums waren die Umrisse eines Anmeldetresens zu erkennen, und weiter hinten hatte man mehrere große Sitznischen in kabinenähnliche Abteile eingebaut, die vielleicht einmal Zellen oder Verhörzimmer gewesen waren. Als er den Blick hob, sah er, dass die Wände in fröhlichem Orange gestrichen waren – garantiert war auf den Farbeimern »Mango« oder »Kaki« gestanden –, und die großen, mit schmiedeeisernen Rahmen versehenen Fenster, die im unteren Bereich noch Gitterstäbe hatten, zierten safrangelbe Seidenvorhänge. Das Einzige, was den großartigen Raum nach Meinung des Majors beeinträchtigte, war die Überfülle von – auf den ersten Blick als solche erkennbaren – Plastikblumen in synthetischen Farbtönen, die überhaupt nicht zusammenpassten. Sie hingen als Girlanden aus rosaroten und malvefarbenen Rosen von der Decke und steckten eng gepackt in Bodenvasen aus Beton. In dem gefliesten Brunnen in der Mitte schwammen orangerote Seerosen, dicht um das Überlaufventil gedrängt wie tote Kois.
    »Wie fröhlich das hier alles wirkt!« Grace streckte den Hals, um die riesigen, mit Efeu und starren Lilien umrankten schmiedeeisernen Kronleuchter zu betrachten. Der Major fand, dass ihre aufrichtige Freude an der Farbenpracht nicht zu einer Frau passte, die sich fast ausschließlich in erdbraune Tweedsachen kleidete. Die düstere weinrot-schwarze Bluse und die dunkelgrünen Strümpfe, die sie an diesem Tag trug, hätten sie in so manchem

Weitere Kostenlose Bücher