Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Frau namens Noreen wirkte ziemlich eingeschüchtert. Sie fuhr sich nervös über das dünne graue Haar und warf Mrs. Khan, deren Lippen zu einem dünnen Strich geworden waren, einen Blick zu.
»Ich konnte ihn nicht im Auto lassen«, erklärte die junge Frau, den Blick ebenfalls auf Mrs. Khan gerichtet. Ihre Miene allerdings war so grimmig wie die ihrer Tante demutsvoll.
»Ich glaube, er heißt George«, sagte Mrs. Ali, um die Atmosphäre zu entspannen. Sie stand auf, ging zu dem Jungen hinüber und schüttelte ihm die Hand. »Wir hatten das Vergnügen, uns im Park kennenzulernen. Hast du es geschafft, deinen Ball bis nach Hause zu bekommen?«
Die junge Frau runzelte die Stirn und hob sich George an die Hüfte. »Damals hat er es geschafft, aber am nächsten Tag hat er ihn dann auf dem Weg in die Innenstadt in einem Abflussrohr verloren.« Zum Major sagte sie nichts, sondern nickte ihm nur kurz zu. Heute trug sie ein langes, formloses schwarzes Kleid und darunter Leggings; der einzige farbige Ausrutscher bestand in knallroten Turnschuhen, die über die Knöchel reichten. Ihr Haar war teilweise von einem elastischen Kopftuch verdeckt. Sie hatte sich ganz offensichtlich um konventionellere Kleidung bemüht, aber dem Major schien es, als beharrte sie ebenso bewusst auf einem gewissen Maß an dickköpfigem Widerstand. Sie wirkte in dem Restaurant genauso deplaziert wie auf der Promenade, als sie die Teedame angebrüllt hatte.
»Jasmina, ich glaube, Amina und George stammen aus deiner Ecke oben im Norden«, sagte Mrs. Khan mit aalglattem Lächeln. »Vielleicht sind eure Familien ja miteinander bekannt?«
Der Major konnte nicht erkennen, ob Mrs. Ali belustigt oder verärgert war. Sie presste die Lippen aufeinander, als wollte sie ein Kichern unterdrücken, aber ihre Augen blitzten.
»Das glaube ich nicht, Saadia«, entgegnete sie. Dem Major fiel auf, dass sie ganz bewusst nicht »Sadie« sagte. »Es ist ein größerer Ort.«
»Also, ich glaube, Sie haben einen Neffen in meinem Alter, der da mal gelebt hat«, warf Amina ein. Ihre Tante Noreen begann zu zittern wie Espenlaub und hantierte mit den Musterbüchern herum. »Vielleicht bin ich sogar mit ihm zur Schule gegangen.«
»Vielleicht – aber er ist schon seit einer ganzen Weile nicht mehr dort«, sagte Mrs. Ali. In ihrer Stimme schwang ein vorsichtiger Unterton mit, den der Major bei ihr noch nie gehört hatte. »Er hat eine Zeitlang in Pakistan studiert.«
»Und jetzt wohnt er bei dir, wie ich gehört habe«, sagte Mrs. Khan. »Nach Sussex ziehen zu dürfen ist ein Riesenglück. Meine Wohltätigkeitsorganisation ist sehr aktiv in diesen Städten im Norden, es gibt dort sehr, sehr viele Probleme.« Sie tätschelte Aminas Arm, als hätte sie den Großteil dieser Probleme verursacht.
Die junge Frau öffnete den Mund und sah von einem zum anderen, als wüsste sie nicht, ob sie noch etwas zu Mrs. Ali sagen oder Sadie Khan eine scharfe Antwort erteilen sollte. Bevor sie das Wort ergreifen konnte, wurde sie von ihrer Tante heftig am Ärmel gezupft. Sie schloss den Mund, wandte sich ab und half, eine lange, schwere Stoffbahn auszubreiten. Der Major beobachtete, wie die beiden in stillem Streit darum rangelten.
»Vielleicht sollten wir jetzt über die Dekoration reden«, schlug Mrs. Rasool vor, der das ganze Gespräch sichtlich unangenehm war. »Mrs. Khan, zeigen Sie uns doch bitte als Erstes die Stoffe für die Tischläufer, ja?«
Schon kurze Zeit später stritten Mrs. Khan, Mrs. Rasool und Grace über die jeweiligen Vorzüge des schimmernden pastellfarbenen Chiffons und des schweren Damasts mit dem farbenprächtigen Paisleymuster. Amina und ihre Tante Noreen breiteten schweigend Stoffe aus und blätterten Musterbücher durch – Erstere mit verkniffenem Mund. Der Major setzte sich wieder an seinen Platz, und die Kellner brachten Gläser mit heißem Tee. Ohne die beiden älteren Rasools zu beachten, sah der Major zu, wie Mrs. Ali George aufforderte, auf ihren Schoß zu klettern.
Sie gab ihm ihren Teelöffel, den sie zuvor in Honig getaucht hatte. Vorsichtig begann er, daran zu lecken. »George mag Honig«, sagte er ernst. »Ist der bio?« Mrs. Ali lachte.
»Also, ich habe noch nie gesehen, dass Bienen ein Antibiotikum gespritzt wurde, George«, sagte der Major, der grundsätzlich für die medikamentöse Behandlung von Nutztieren war und an der vernünftigen Verwendung von gut abgelagertem Dung nichts Falsches sehen konnte. George warf ihm einen finsteren Blick
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