Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
Jim und Rick das Boot um. Ein Ponton war aufgeschlitzt und dann mit einer Art wasserlöslichem Pech verklebt worden. Mim, die sich von ihrem Missgeschick vollkommen erholt hatte, stand neben dem Boot. Jim wünschte, sie hätte das nicht gesehen.
»Jemand wollte mich umbringen.« Mim blinzelte.
»Es könnte vom Grund aufgerissen worden sein«, log Jim.
»Du kannst mir nichts erzählen. Ich bin nie auf Grund gelaufen. Jemand wollte mich umbringen!« Mim war eher erbost als ängstlich.
»Vielleicht wollte man Ihnen bloß eins auswischen.« Rick ging wieder in die Hocke, um den Riss zu inspizieren.
Mim schrie jetzt zetermordio. Sie riss die Antenne ihres schnurlosen Telefons heraus, um ihre Freundinnen anzurufen.
»Tun Sie das nicht, Mrs Sanburne.« Rick schob die Antenne zurück.
»Warum nicht?«
»Es könnte ratsam sein, dass wir den Vorfall eine Weile für uns behalten. Dann macht der Schuldige vielleicht einen Fehler, stellt eine verräterische Frage – Sie verstehen?«
»Vollkommen.« Mim schürzte die Lippen.
»Mim, Liebling, mach dir keine Sorgen. Ich engagiere Tag und Nacht Leibwächter für dich.« Jim legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau.
»Das ist zu auffällig«, erwiderte Mim.
Nach einigem Hin und Her hatte Jim sie überzeugt. Er sagte, er werde weibliche Leibwächter besorgen, und sie würden sie als Austauschstudentinnen ausgeben.
Als Little Marilyn später von ihrer Mutter wegen ihrer Untätigkeit auf dem Steg in die Mangel genommen wurde, erklärte sie, die sinkende Mim sei ein so traumatischer Anblick gewesen, dass die Aussicht, ihre Mutter zu verlieren, sie vorübergehend gelähmt habe.
25
Montags hatte Harry immer ein Gefühl, als ob sie mit einem Zahnstocher eine Tonne Papier schaufelte. Susans Postwurfsendungen türmten sich wie das Matterhorn. Harry konnte sie nicht in ihrem Postfach unterbringen. Josiah erhielt die Zeitschrift Country Life aus England und einen Brief von einem Antiquitätenhändler aus Frankreich. Fairs Fach war gestopft voll mit Anzeigen von pharmazeutischen Firmen: Machen Sie jetzt Schluss mit den Fadenwürmern! Mrs Hogendobber würde sich über den Empfang ihres christlichen Versandhauskatalogs freuen. Jesusbecher waren der Knüller; man konnte aber auch ein mit der Bergpredigt bedrucktes T-Shirt kaufen.
Harry beneidete Christus. Er hatte vor dem Zeitalter der Kreditkarte gelebt. Der Besitz einer Kreditkarte im Zeitalter des Versandhauskatalogs war eine prekäre Angelegenheit. Der Bankrott, einen Telefonanruf entfernt, konnte einen binnen zwei Minuten ereilen.
Misslaunig stülpte sie den letzten Postsack um, und Briefe, Postkarten und Rechnungen flatterten heraus wie weißes Konfetti. Mrs Murphy duckte sich, wackelte mit dem Hinterteil und stürzte sich auf den köstlichen Haufen.
»Aber nicht mit den Krallen. Die Leute merken sonst, dass du mit ihrer Post spielst, und das ist ein Staatsverbrechen.« Harry kraulte sie am Schwanzansatz.
Tucker sah von ihrem Lager unter dem Schalter zu, wie Mrs Murphy ans Ende des Raums flitzte, eine Kehrtwendung vollzog und in den Haufen zurückstürmte.
»Eine Wucht!«
Tucker zuckte mit den Ohren. »Du liebst Papier. Ich weiß nicht, warum. Ich find’s langweilig.«
»Das Knistern hört sich herrlich an.« Mrs Murphy wälzte sich in den Briefen. »Und das Material der verschiedenen Briefe kitzelt meine Ballen.«
»Wenn du es sagst.« Tucker klang nicht überzeugt.
Unterdessen schlitterte Mrs Murphy auf der Post, ähnlich wie Kinder ohne Schlittschuhe auf dem Eis schlittern.
»Jetzt ist es genug. Sonst reißt du noch was kaputt.« Harry griff nach der Katze, aber sie wich ihr aus. Harry bemerkte eine Postkarte zuoberst auf dem letzten Haufen, den Mrs Murphy gestürmt hatte. Auf der Karte war eine Ritterrüstung abgebildet. Harry nahm sie in die Hand und drehte sie um.
In Computerschrift geschrieben und an sie adressiert stand da: »Bring mich nicht in Harnisch.«
Harry ließ die Karte fallen, als wäre sie glühend heiß. Ihr Herz klopfte.
»Was Harry nur hat?«, rief Tucker Mrs Murphy zu, die immer noch auf den Briefen schlitterte.
Die Katze hielt an. »Sie ist kreidebleich.«
Harry sortierte die Post langsam, wie in Trance, aber ihre Gedanken rasten so schnell, dass sie von der Geschwindigkeit nahezu gelähmt war. Der Mörder musste einer von Josiahs Gästen gewesen sein, und er gab ihr zu verstehen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Ihre Amateurschnüffelei hatte einen
Weitere Kostenlose Bücher