Mrs Murphy 03: Mord in Monticello
ebenfalls auswendig. Sie hatte Wesleys ewige Vergangenheitsverklärung satt.
Warren nahm die Zeitung, die sein Vater hingeworfen hatte, und las den Artikel.
»Big Daddy, man hat in einer Sklavenhütte ein Skelett ausgegraben. Vermutlich mehr Staub als Knochen. Ich finde, Oliver Zeve hat eine vernünftige Presseerklärung abgegeben. Das Interesse wird einen Tag lang anschwellen und dann abflauen. Wenn dir die Sache so am Herzen liegt, geh dich doch selbst vom ›Drang des Ird’schen‹ überzeugen.« Ansley lächelte müde, als sie aus »Hamlet« zitierte.
Warren war immer noch empfänglich für Ansleys Schönheit, aber er spürte ihre Abneigung gegen ihn. Sie zeigte sie natürlich nicht offen. Taktvoll, wie sie war, wahrte Ansley, was ihren Mann anging, die strengen Regeln des Anstands. »Du nimmst die Geschichte nicht ernst genug, Ansley.« Er wollte seinem alten Herrn mit dieser Äußerung einen Gefallen tun.
»Mein Lieber, Geschichte interessiert mich nicht im Geringsten. Das Gestern ist tot. Ich lebe heute, und ich will morgen leben – und was unsere Familie für Monticello spendet, kommt dem Heute zugute. Auf dass wir zum Gedeihen der größten Attraktion von Albemarle beitragen!«
Wesley schüttelte den Kopf. »Durch diese archäologischen Arbeiten in den Dienstbotenquartieren« – er blies seine roten Backen auf – »werden die Leute aufgewiegelt. Als Nächstes wird noch eine Versammlung von Negern -«
»Afroamerikanern«, säuselte Ansley.
»Ist mir egal, wie du sie nennst!«, sagte Wesley aggressiv. »Ich finde, dass ›farbig‹ immer noch die höflichste Bezeichnung ist! Wie auch immer du sie nennst, sie werden sich organisieren, sie werden unter einer Terrasse in Monticello kampieren, und ehe man sichs versieht, werden sie Jefferson seine Leistungen streitig machen. Sie werden behaupten, sie hätten sie vollbracht.«
»Aber sie haben die meiste Arbeit geleistet, das steht fest. Hatte er nicht an die zweihundert Sklaven auf seinen diversen Besitztümern?« Während Ansley ihren Schwiegervater mit diesen Worten provozierte, hielt Warren den Atem an.
»Kommt sehr drauf an, in welchem Jahr«, fauchte Wesley. »Woher weißt du das überhaupt?«
»Aus Mims Vortrag.«
»Mim Sanburne ist die größte Nervensäge, die diese Gegend seit dem 17. Jahrhundert heimgesucht hat. In kürzester Zeit wird man Jefferson besudelt, in den Schmutz gezogen, zum Schurken gemacht haben. Mim und ihre Mulberry Row! Sie soll nicht an die Dienstbotenfrage rühren! Verdammt, ich wünschte, ich hätte ihr nie einen Scheck gegeben.«
»Aber das ist doch ein Teil der Geschichte.« Ansley genoss die Auseinandersetzung.
»Welcher Geschichte?«
»Der Geschichte von Amerika, Big Daddy.«
»Ach, Scheiße!« Er warf ihr einen wütenden Blick zu, dann lachte er. Sie war der einzige Mensch in seinem Leben, der es wagte, sich mit ihm anzulegen – und das gefiel ihm.
Warren, dessen schlechte Laune in Langeweile umgeschlagen war, trank seinen Orangensaft und nahm sich den Sportteil vor.
Wesley zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Und wie ist deine Meinung?«
»Hm?«
»Warren. Big Daddy möchte wissen, was du von der Sache mit der Leiche in Monticello hältst.«
»Ich – äh – was soll ich sagen? Hoffen wir, dass diese Entdeckung uns helfen wird, das Leben in Monticello, die Strapazen und die Nöte der damaligen Zeit besser zu verstehen.«
»Wir sind nicht deine Wählerschaft. Ich bin dein Vater! Willst du etwa bestreiten, dass eine Leiche im Garten oder, verflixt, wo war das noch mal« – er griff nach der Titelseite, um nachzusehen –, »dass eine Leiche in Hütte Nummer vier eine schlechte Nachricht ist?«
Warren, der sich längst an das schwankende Urteil seines Vaters über seine Fähigkeiten und sein Verhalten gewöhnt hatte, sagte gedehnt: »Nun ja, Papa, für die Leiche war es ganz sicher eine schlechte Nachricht.«
Ansley hörte Warrens Porsche 911 aus der Garage donnern. Sie wusste, dass Big Daddy im Stall war. Sie griff zum Telefon und wählte.
»Lucinda«, sagte sie empört, »hast du die Zeitung gelesen?«
»Ja. Diesmal geht der Queen von Crozet der Arsch auf Grundeis«, sagte Lucinda bissig.
»Ganz so schlimm ist es nicht, Lulu.«
»Gut ist es aber auch nicht.«
»Ich werde nie begreifen, warum es so wichtig ist, mit T.J. blutsverwandt zu sein, und wenn’s noch so weitläufig ist«, sagte Ansley, obwohl sie es nur zu gut verstand.
Lucinda zog fest an ihrem Stumpen. »Was haben unsere
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