Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
gut leiden, die, wenngleich sie manchmal bittere Momente hatte, ihr hartes Los mit Fassung trug.
Nachdem Samson, ihr Mann, all sein Geld verloren hatte und obendrein mit heruntergelassenen Hosen bei einer außerehelichen Affäre erwischt worden war, war Lucinda in tiefste Verzweiflung gestürzt. Als die Stelle bei der Kirche frei wurde, bewarb sie sich, und sie wurde gern genommen, obwohl sie in ihrem Leben keinen einzigen Tag gearbeitet hatte. Sie konnte leidlich gut Maschine schreiben, aber, was noch wichtiger war, sie kannte jedermann, und jedermann kannte sie.
Father Michael schloss Samson täglich in seine Gebete ein. Samson musste nun in Kendrick Millers Gärtnereibetrieb körperliche Arbeit verrichten. Wenigstens war er in so guter Verfassung wie noch nie in seinem Leben, und er lernte fließend Spanisch sprechen, da einige seiner Arbeitskollegen mexikanische Einwanderer waren.
Father Michael, der gerade bei der zweiten Tasse Kaffee war – zwei Stück brauner Zucker und ein Schuss Devonshire-Sahne –, blinzelte überrascht. Er glaubte eine Gestalt durch den frühmorgendlichen Nebel schleichen zu sehen.
Der benötigte Koffeinstoß ließ ihn vom Stuhl springen. Er schnappte sich eine Barbour-Jacke und eilte nach draußen. Leise näherte er sich der auf dem Friedhof herumschleichenden Gestalt.
Samson Coles legte einen Blumenstrauß auf Ansley Randolphs Grab.
Father Michael, ein leichtgewichtiger Mann, machte kehrt, um auf Zehenspitzen zu seinem Häuschen zurückzuschleichen, doch Samson hörte ihn.
»Herr Pfarrer?«
»Verzeihen Sie, dass ich Sie gestört habe, Samson. Ich konnte im Nebel nicht deutlich sehen. Manchmal kommen Jugendliche her, um zu trinken, verstehen Sie. Ich dachte, ich könnte einen auf frischer Tat ertappen. Ich bitte um Entschuldigung.«
Samson räusperte sich. »Niemand besucht sie.«
Father Michael seufzte. »Sie hat sich selbst ruiniert, die Ärmste.«
»Ich weiß. Trotzdem habe ich sie geliebt. Ich liebte Lucinda, aber … ich konnte nicht von Ansley lassen.« Er seufzte. »Ich weiß nicht, warum Lucinda mich nicht verlässt.«
»Sie liebt Sie, und sie lernt zu vergeben. Gott schickt uns die Lektionen, die wir brauchen.«
»Wenn meine Lektion Demut heißt, so bin ich dabei zu lernen.« Er hielt inne. »Sie werden ihr nicht erzählen, dass Sie mich hier gesehen haben?«
»Nein.«
»Es ist bloß, dass … manchmal fühle ich mich so mies. Warren besucht ihr Grab nicht und auch keiner von den Jungs. Man sollte doch meinen, dass sie wenigstens ab und zu das Grab ihrer Mutter besuchen würden.«
»Sie sind jung. Sie denken, wenn sie Schmerz und Verlust ignorieren, wird es vergehen. Tut es aber nicht.«
»Ich weiß.« Er drehte sich um, die beiden Männer verließen den Friedhof und schlossen das schmiedeeiserne Tor hinter sich.
Die mächtige Statue des Racheengels an der Nordwestecke des Friedhofs schien ihnen mit den Augen zu folgen.
»Ich habe zufällig den besten jamaikanischen Kaffee da, den Sie sich nur wünschen können. Möchten Sie mir bei einer Tasse Gesellschaft leisten?«
»Ich möchte Ihnen keine Umstände machen, Herr Pfarrer.«
»Es macht überhaupt keine Umstände.«
Sie tranken den köstlichen Kaffee und sprachen über Liebe, Verantwortung, die Chancen für die Virginia-Footballmannschaft in diesem Herbst und die Merkwürdigkeiten der menschlichen Natur, wie sie in der falschen Todesanzeige zutage getreten waren.
Es klopfte leise an der Hintertür, und Father Michael stand auf. Er öffnete. Auf der Schwelle stand Jody Miller, ein Pfarrkind von ihm, im Jogginganzug, da sie auf dem Weg zum frühmorgendlichen Hockeytraining war, mit einer Schwellung im Gesicht und einer roten Strieme am Auge, die sich bald blau färben würde.
»Father Michael, ich muss Sie sprechen.« Sie sah Samson am Tisch. »Ah -«
»Komm herein.«
»Ich komme zu spät zum Training.« Sie lief den gepflasterten Pfad zurück. Father Michael sah ihr mit seinen dunkelbraunen Augen nach. Dann schloss er die Tür.
»Wo wir gerade bei Merkwürdigkeiten sind.« Samson deutete ein Lächeln an. »In diesem Alter nimmt man alles so wichtig.«
Wohl wahr.
Fünf Minuten nachdem Samson gegangen war, hielt Skip Hallahan mit Sean auf dem Beifahrersitz in Father Michaels Zufahrt. Zögernd stieg Sean aus.
»Herr Pfarrer!«, brüllte Skip.
Father Michael steckte den Kopf aus der Hintertür. »Kommen Sie herein, Skip und Sean. Wissen Sie, ich bin nicht taub.«
»Verzeihung«, murmelte Skip, dann
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