Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
bei seinem Anblick, ob Jesus einen zum Kirchenbeitritt bewegen oder zu einer Partie Beachvolleyball mit ihm und einem Dutzend seiner biblischen Freunde überreden wollte.
Auf Little Earls Wunsch hin, spielte Clarice im Anschluss an Revered Petersons Trauerrede zwei Stücke auf dem Klavier. Bei einem davon handelte es sich um ein Arrangement von »His Eye is on the Sparrow« und bei dem anderen um ein Stück, das im Programm als Brahms Intermezzo angekündigt wurde. Beide waren wundervoll, aber am Ende des Brahmsstücks weinten sich alle die Augen aus.
Clarice war eine wahnsinnig gute Klavierspielerin. Was mich betraf, war Musik, abgesehen vom Einschalten der Stereoanlage, nie mein Ding gewesen. Aber selbst ich konnte hören, dass etwas Besonderes passierte, wenn Clarice sich ans Klavier setzte.
Als wir noch Kinder waren, hatten wir alle gedacht, dass sie einmal berühmt werden würde. Sie gewann Wettbewerbe und spielte sogar mit dem Indianapolis Symphonieorchester und dem Louisville Symphonieorchester, während sie noch zur Highschool ging. Konservatorien im ganzen Land boten ihr volle Stipendien an, aber sie blieb in Plainview – wegen Richmond. Er vergalt es ihr, indem er ihr das Herz brach. Er trat der National-Football-League bei und ließ sie zurück, ohne auch nur groß Lebewohl zu sagen. Dann, gerade als Clarice den Plan gefasst hatte, nach New York zu gehen, um ihre Karriere zu starten, kehrte Richmond mit gebrochenem Knöchel und ohne eine Zukunft im Football in seine Heimatstadt zurück. Er schwor ihr seine unendliche Liebe und bettelte um ihre Vergebung und Fürsorge. Ein Jahr später war sie seine Frau, und zehn Monate nach der Hochzeit brachte sie ihr erstes Kind zur Welt. Die anderen Kinder folgten in kurzen Abständen, und Clarice begann ihre Karriere nicht in New York, sondern als örtliche Klavierlehrerin.
In Plainview zu bleiben und die Karriere aufzugeben, die wir uns alle für sie erhofft hatten, war Clarices Entscheidung. Es war kein Verbrechen, das ihr Ehemann an ihr begangen hatte. Und ich habe sie kein einziges Mal darüber klagen hören, dass sie das Gefühl hätte, etwas verpasst zu haben. Aber als ich meiner Freundin dabei zusah, wie sie am Klavier unter dem scharfen Jesusbild zu einem inneren Rhythmus wippte, konnte ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass wir da gerade einen Blick auf den großen Schatz erhaschten, den Richmond der Welt selbstsüchtig weggeschnappt hatte, um ihn für sich zu behalten.
Drei von Clarices und Richmonds Kindern saßen in der Reihe mit meinen Sprösslingen. Wie meine Kinder waren auch Carolyn, Ricky und Abe von weit her gekommen. Nur Carl, Carolyns Zwillingsbruder, ließ sich nicht blicken, ungeachtet der Tatsache, dass er seiner Frau erzählt hatte, er wäre die ganze Woche über in Plainview. Diese hatte Clarice heute Morgen mehrmals angerufen und versucht, ihn zu erreichen. Selbst während sie spielte, hielt Clarice immer wieder über die Schulter Ausschau nach ihrem jüngsten Sohn. Aber ich war sicher, dass sie tief im Inneren wusste, dass er nicht kommen würde. Carl konnte überall sein. Und ganz gleich wo er sich aufhielt, die Wahrscheinlichkeit, dass er allein dort war, war ziemlich gering. Der gut aussehende Carl war der hübsche Apfel, der nicht weit von Richmonds großem, bescheuertem Stamm gefallen war.
Nachdem wir zugesehen hatten, wie Big Earl neben Miss Thelma zur letzten Ruhe gebettet worden war, fuhren wir nach Hause, um das Essen zu holen, das ich für den Leichenschmaus zubereitet hatte. Dann gingen wir hinüber zu Big Earls und Miss Minnies Haus.
Nein, jetzt war es nur noch Miss Minnies Haus. Big Earl hatte gegenüber vom All-You-Can-Eat gewohnt, seit ich denken konnte, aber an diese traurige neue Wahrheit musste man sich nun gewöhnen.
Wir fanden die Witwe auf der Veranda in der Hollywood-Schaukel, umringt von mitfühlenden Freunden. Miss Minnie machte deutlich, dass niemandem der Zutritt ins Haus gewährt werden würde, ohne dass er sich zuvor einen Bericht vom Besuch ihres spirituellen Führers angehört hatte und die Prophezeiung, dass ihr Tod irgendwann in den kommenden dreihundertfünfundsechzig Tagen bevorstünde. Also standen wir in der Hitze, während sie die Geschichte erneut zum Besten gab. Dann, sobald der Anstand es uns erlaubte, bekundeten James und ich unser Beileid über den Tod ihres Mannes und über ihr eigenes bevorstehendes Hinscheiden und beeilten uns, hineinzukommen.
Das Haus hatte sich seit meinem letzten
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