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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Kelsey Moore
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drüben, Odette.« Ich drehte mich um und machte mich darauf gefasst, weitere tote Freunde zu sehen. Stattdessen erblickte ich Lydia, Big Earls Tochter, die mich an einen drei Meter langen Tisch heranwinkte, der unter dem Gewicht der zahllosen Gerichte darauf durchhing. Zusammen mit Miss Thelma, die hinter mir hertrottete, brachte ich meine Beigabe für den Leichenschmaus zu Lydia ins Esszimmer.
    Während ich Big Earls Tochter half, die Schüsseln herumzuschieben, um auf dem Tisch noch Platz für meine Platte zu machen, verkündete James, er sei am Verhungern, und fing an, sich Essen auf seinen Teller zu häufen. Mama, Big Earl und eine gut gekleidete weiße Frau, die ich nicht sofort erkannte, bahnten sich ihren Weg durch den überfüllten Raum zu Miss Thelma und mir. Die Leute standen Schulter an Schulter im Zimmer, aber Mama und ihre Freunde glitten mühelos durch den Raum, indem sie sich auf eine Weise zwischen den Gästen hindurchschoben, die wirkte, als würden sie an und aus flackern wie Christbaumlichter.
    Als sie am Esstisch angekommen waren, fing Mama an zu zählen: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Das sind sechs Schinken. Zwei geräucherte, zwei Dörrschinken, ein gekochter und ein frittierter. Sehr beeindruckend.« Mama stammte aus der Generation, die glaubte, man zeige seinen Respekt für den Verstorbenen mit einem Tribut aus Schweinefleisch. Sie wandte sich an Big Earl, der von dem Schweinefleisch-Altar in seinem Esszimmer aufrichtig gerührt zu sein schien, und sagte: »Sechs Schinken. Earl, du wurdest wahrhaft geliebt.«
    Genau in diesem Moment zog Lydia die Folie von der Platte, die ich mitgebracht hatte. Sie beugte sich darüber und atmete tief ein. »Mm, mit Honig-Walnuss-Glasur und spiralförmig geschnitten«, sagte sie. »Gott segne dich.«
    Mama johlte: »Sieben!« Und Big Earl errötete sogar ein bisschen.
    Ich bemerkte, dass Barbara Jean und Lester am anderen Ende des Tisches standen, als ich hörte, wie Barbara Jean ihrem Mann auf die Finger klopfte und sagte: »Jetzt ist aber Schluss. Erdbeeren lassen deinen Hals zuschwellen.« Er bekam noch einen Klaps, als er die Hand nach einer anderen Obstplatte ausstreckte und umgehend vor den negativen Auswirkungen von Zitrusfrüchten auf das Medikament gegen sein Magengeschwür gewarnt wurde.
    Mama fragte: »Ist Lester kürzlich krank gewesen?«
    Ich konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. Zu fragen, ob Lester krank sei, war in etwa so, als frage man, ob morgens die Sonne aufging. Seine lebenswichtigen Organe waren schon vor Jahren in Altersteilzeit gegangen. Es überraschte mich, dass Mama das vergessen hatte.
    Als sie meine Reaktion sah, sagte sie: »Ich weiß, dass er krank ist. Ich meinte, ob es ihm in letzter Zeit besonders schlecht geht?« Sie deutete auf Lester, der gerade mit Barbara Jean neben James im Wohnzimmer Platz nahm. Die fremde weiße Frau, die einige Augenblicke zuvor noch neben Mama und Big Earl gestanden hatte, war Lester zu seinem Stuhl gefolgt. Sie stand neben ihm und betrachtete ihn aufmerksam, als er anfing, den von seiner Frau abgesegneten Teller leer zu essen. Mama sagte: »Es ist nur so, dass sie sich eigentlich nicht besonders für Leute interessiert, außer wenn sie kurz vor dem Dahinscheiden sind. Sie ist auch einen ganzen Monat um deinen Vater herumgeschlichen, bevor er starb.«
    Da erkannte ich die Frau und stieß unwillkürlich einen leisen Schrei aus. Dort stand, in ihre Fuchsstola gehüllt, die würdevolle frühere First Lady Eleanor Roosevelt. Eigentlich hätte es mich nicht erstaunen dürfen, Mrs Roosevelt zu sehen. Mama hatte mir die gesamten letzten Jahre ihres Lebens von ihren Kapriolen berichtet, und ich hatte keinen Grund anzunehmen, dass sich die Wege der beiden getrennt hätten. Trotzdem, man rechnet einfach nicht damit, gewissen Leuten im Wohnzimmer von alten Freunden zu begegnen.
    Mama sagte: »Eleanor taugt zurzeit nicht viel – kann sie auch gar nicht, so wie sie trinkt –, aber sie hat ein Talent dafür, zu wissen, wer bald gehen muss.«
    Flüsternd erwiderte ich: »Tja, dann sag ihr, dass sie sich da auf eine lange Wartezeit einstellen kann. Lester tritt jetzt schon seit mehr als zehn Jahren gegen die Tür des Todes, aber sie will einfach nicht für ihn aufgehen.«
    Clarice und Richmond kamen herein, beladen mit noch einem weiteren Schinken, und sofort wurde Clarice von Leuten bestürmt, die darauf brannten, ihr zu sagen, wie sehr ihnen ihr Klavierspiel beim Gottesdienst gefallen habe.

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