Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Brathähnchen.«
»Danke«, sagte Barbara Jean, griff nach der Schachtel und wirkte dabei, als habe sie es eilig, ihre Besucher wieder loszuwerden. Doch der Mann schnappte sich den Karton, sobald Odette ihn ihr überreicht hatte. »Ihr kommt jetzt mal alle mit in die Küche«, sagte er und ging in den hinteren Teil des Hauses. Die Mädchen rührten sich nicht, also rief der Mann aus dem Nebenzimmer: »Jetzt kommt schon.« Gehorsam, wie sie waren, folgten sie ihm.
Die Küche war in einem noch schlimmeren Zustand als die beiden Zimmer, durch die Clarice und Odette gegangen waren, um dorthin zu gelangen. Der Boden war so kaputt, dass man die Teerpappe unter dem Linoleum sehen konnte. Schmutziges Geschirr stapelte sich in einer Spüle aus verrostetem Metall und auf einer rissigen Holzarbeitsplatte. Die Bezüge der Küchenstühle aus rotem Lackleder waren alle aufgeplatzt, und aus den offenen Nähten quoll die schmutzigweiße Füllung.
Wo, fragte sich Clarice, waren die Tanten, Freundinnen und Cousinen, die nach einem solchen Schicksalsschlag eigentlich in großer Zahl hier hätten erscheinen müssen, um zu kochen, sauberzumachen und Trost zu spenden? In ihrer Familie hätte selbst die geringste, verschmähteste Cousine zweiten oder dritten Grades wenigstens einen Nachmittag der Aufmerksamkeit am Tag ihrer Beerdigung verdient. Aber niemand schien sich die Mühe gemacht zu haben, hierher zu kommen.
Der Mann nahm am Tisch Platz und forderte sie mit einem Wink auf, sich zu ihm zu setzen. Die drei Mädchen ließen sich nieder und starrten sich gegenseitig an, ohne zu wissen, was sie sagen sollten. Der Mann wandte sich an Odette und sagte: »Richte deiner Mama bitte aus, dass ich und meine Stieftochter ihr für ihre Freundlichkeit danken.« Dann tätschelte er Barbara Jean den Arm, was sie zusammenzucken und hastig von ihm abrücken ließ. Ihr Stuhl machte ein kratzendes Geräusch, als sich das Metallbein in den verschrammten Boden grub.
Clarices Drang, von hier zu verschwinden, war stärker als je zuvor, doch Odette machte keinerlei Anstalten den Prozess zu beschleunigen. Odette sah den Mann und Barbara Jean bloß aufmerksam an, als versuche sie ein Rätsel zu entschlüsseln.
Der Mann goss sich ein Glas Whiskey aus einer Flasche Old Crow ein, die vor ihm auf dem Tisch stand. Dann nahm er das verschmierte Glas und stürzte es in einem Zug hinunter. Clarice hatte noch nie jemanden puren Whiskey trinken sehen und konnte nicht umhin zu glotzen. Als er ihren Blick bemerkte, sagte er: »’tschuldigung, Mädels, wo sind meine Manieren? Barbara Jean, hol Gläser für unsere Gäste.«
Barbara Jean fasste sich mit der Hand an die Stirn und sank noch etwas tiefer auf ihrem Stuhl zusammen.
Odette sagte: »Nein danke, Sir. Wir sind nur hergekommen, um das Essen zu bringen und um Barbara Jean abzuholen. Meine Mutter hat gesagt, wir sollen sie mit nach Hause zum Abendessen nehmen und ein Nein als Antwort nicht akzeptieren.«
Barbara Jean sah Odette an und fragte sich, ob sie verrückt geworden war. Clarice rammte Odette mit Wucht ihre Schuhspitze ins Schienbein. Doch Odette schrie weder auf, noch ließ sie sich irgendetwas anmerken. Sie saß bloß da und lächelte den Mann an, der sich gerade sein zweites Glas einschenkte.
»Nä, ich glaube nicht, dass sie heute Abend irgendwohin gehen sollte«, sagte er, und um seinen Mund legte sich ein garstiger Zug, bei dem es Clarice den Magen zusammenkrampfte. Sie hatte das Gefühl, dass gleich etwas Schlimmes passieren würde, und sie brachte ihre Füße in Stellung, damit sie losrennen konnte, wenn es sein musste. Doch der Gesichtsausdruck des Mannes entspannte sich wieder zu seinem normalen Kannibalengrinsen, und er sagte: »Barbara Jean hat heute eine Menge durchmachen müssen, und sie sollte lieber zu Hause bei ihrer Familie bleiben.« Er sah sich im Raum um und machte eine ausladende, kreisförmige Armbewegung mit der Whiskeyflasche in der Hand, als zeige er auf eine Gruppe Verwandter, die sich schnatternd um sie herumdrängten. Dann stellte er die Flasche ab und berührte wieder Barbara Jeans Arm. Und wieder zuckte sie vor seiner Berührung zurück.
Odette sagte: »Bitte, lassen Sie sie mitkommen. Wenn wir ohne sie heimkommen, besteht Mama sicher darauf, dass Papa uns wieder herfährt, um sie abzuholen. Und ich hasse es in dem Streifenwagen durch die Stadt zu fahren. Das ist so peinlich.«
»Dein Vater ist also ein Polizist, hä?«
»Ja, Sir. In Louisville«, sagte
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