Mucksmäuschentot
ging – und ließ zwei wehrlose Frauen zurück, die er systematisch gedemütigt, gequält und beschimpft hatte, als wäre dies die natürliche Ordnung, als wäre es sein
Recht
.
Bis heute weiß ich nicht genau, was mich dazu getrieben hat. Vielleicht war es dieser bleiche, boshafte Schläger, der mit meinem Geburtstagsgeschenk verschwinden wollte, dem Symbol meines Ehrgeizes und meiner Zukunftshoffnungen; vielleicht war es die Empörung über das, was er Mum angetan hatte; vielleicht lag es auch daran, dass er mich hässlich genannt hatte; vielleicht gibt es in Wahrheit für jeden Menschen eine Grenze dessen, was er ertragen kann –
sogar für Mäuse
–, und wenn diese Grenze überschritten wird, brennt eine Sicherung durch. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass Mums wunderschöne rote Schleife so langsam und traurig zu Boden gesegelt war …
Ich zerriss die wenigen Fasern, die meine Beine noch fesselten, schnappte mir das Messer und rannte ihm nach in den Garten.
15
Er war nicht weit gekommen, nur bis zum Rand der Terrasse, und befand sich noch im gelben Lichtfleck vor dem Küchenfenster. Er hörte mich und warf einen Blick über die Schulter, bevor er ungerührt weiterging, als hätte er nur eine Katze umherschleichen sehen.
Ich rammte ihm das Messer mit aller Kraft zwischen die Schulterblätter.
Ich konnte nicht fassen, wie hart sein Rücken war. Es war, als würde man in einen Baumstamm stechen. Die Klinge blieb einige Zentimeter vor dem Heft stecken, und ich konnte sie nur mit großer Mühe herausziehen. Er stieß einen langen Seufzer aus und ließ den Laptop und die rote Tasche fallen. Er beugte sich vor, als hätte man ihm in den Magen geboxt, und drehte sich mit einer Miene empörter Unschuld zu mir.
»Warum hast du das getan?«, stöhnte er, als hätte ich ihm einen geschmacklosen Streich gespielt.
Ich stach wieder und wieder zu, mit halb geschlossenen Augen, weil ich nicht die Wunden und das Blut sehen wollte, die das Messer hinterließ.
Gebückt wie ein Soldat unter Beschuss rannte er zurück zum Haus, den linken Arm erhoben, um meine Angriffe abzuwehren.
Gut!,
dachte ich.
Genau hier will ich dich haben! Du entkommst mir nicht!
Er schaffte es in die Küche und wollte die Tür schließen, war aber nicht schnell genug. Ich bahnte mir mit der Schulter den Weg. Er taumelte in Richtung Vorratskammer, wollte sich hinter dem Tisch verschanzen, war aber wieder zu langsam. Ich stach willkürlich auf ihn ein, reizte ihn wie ein Picador, der dem Stier die Lanze in die Flanken stößt. Er lief um den Tisch, und ich folgte ihm und stach, stach, stach immer wieder zu.
»Wir spielen Reise nach Jerusalem!«,
kreischte ich.
»Wir spielen Reise nach Jerusalem!«
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich zugestochen habe. Er schien schwächer zu werden und taumelte gegen die Spüle, wobei das Abtropfbrett mit dem Geschirr vom letzten Abend scheppernd zu Boden fiel. Während er versuchte, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, traf ihn mein Messer am Hals, und das Blut schoss heraus wie Wasser aus einem geborstenen Rohr. Er presste die Hände auf die Wunde und kauerte sich in die Ecke neben dem Brotkasten, den Rücken zu mir gewandt.
Ich wollte, dass er liegenblieb, sich nicht mehr bewegte, uns nicht mehr bedrohte. Ich betrachtete den Rücken seiner zerrissenen, blutigen Jacke und überlegte, wo sein Herz sein mochte. Dann stieß ich so fest zu, wie ich nur konnte. In eben dieser Sekunde drehte er sich weg. Das Messer traf mit solcher Gewalt auf sein Schulterblatt, dass es mir aus der Hand flog und über den Boden schlitterte.
Ich sah, wie sich sein Gesichtsausdruck von Unterwerfung zu spöttischem, mörderischem Triumph wandelte. Nun war er im Vorteil, und noch bevor ich nach dem Messer suchen konnte, stürzte er sich auf mich.
Meine Knie gaben nach, und ich prallte auf den Boden. Ich landete auf etwas Scharfem, das sich in mein Steißbein bohrte, und schrie vor Schmerz auf. Das Messer!
Er zappelte auf meiner Brust, stützte sich auf mir ab und drückte mit dem Unterarm mein Kinn nach hinten. Das Blut strömte aus seinem Hals wie Wein aus der Flasche. Es lief über mein Gesicht, eine nicht endende Flut, drang in meinen Mund, dass ich spucken und nach Luft ringen musste wie eine Ertrinkende, es brannte wie Seife in meinen Augen und blendete mich.
Jetzt presste er sein Gesicht gegen meins, so dass sich unsere Lippen in der grotesken Parodie eines Kusses beinahe berührten. Er wollte die Hände um meinen Hals
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