Mueller, Carin
eine absolute Rabenmutter bin – wenn auch mit etwas unterschiedlicher Motivation. Vermutlich werden sie mir demnächst das Jugendamt auf den Hals hetzen …« Sie seufzte melodramatisch, fügte dann aber fröhlicher hinzu: »Immerhin ist heute aber auch etwas Tolles passiert! Ich habe ab Montag einen neuen Mitarbeiter, der den ganzen Kram von Georgia übernimmt.«
»Und wie kam es so schnell dazu?«
Sie grinste verschmitzt: »Manchmal schneit das Glück einfach so zur Tür herein …« Und erzählte ihm dann die Geschichte von Christians großem Auftritt als weißer Ritter.
KAPITEL 3
Überschlag ins Grab
D as Telefon läutete. Schlaftrunken tastete Katia nach dem Hörer.
»Frau Kolidis? Guten Morgen, verzeihen Sie bitte die frühe Störung«, es war die Rezeption des Frankfurter Hofs, die sie um halb vier aus dem Schlaf gerissen hatte.
»Mhmm?«, murmelte sie.
»Hier sind zwei Polizeibeamte, die gerne mit Ihnen sprechen würden. Sie sagen, es sei sehr wichtig. Darf ich sie hinaufschicken?«
»Ja, ja, natürlich …« Polizei? Was hatte das zu bedeuten? Sie war mit einem Mal hellwach und sah auf die andere Seite des Betts. Natürlich war Aris’ Platz unberührt – wie in fast allen Nächten der letzten Wochen.
»… Kaffee oder Wasser?«
»Wie bitte?« Sie war so in Gedanken, dass sie die Frage des Portiers nicht ganz mitbekommen hatte.
»Soll ich Ihnen eine Erfrischung bringen lassen?«, wiederholte er.
»Ja gerne, danke.« Katia legte auf und tätschelte geistesabwesend ihre Hündin Olga, die ebenfalls ziemlich verschlafen angetrottet gekommen war. Dann fuhr sie sich notdürftig mit den Fingern durch die langen Haare und zog sich eine weiche, hellbraune Strickjacke über ihren Pyjama. Augenblicke später klopfte es an der Tür ihrer eleganten Suite.
Sie öffnete und stand einer blonden Frau und einem Mann mit Halbglatze gegenüber. Die Frau zückte ihre Dienstmarke und stellte sich und ihren Kollegen als »Regina Jäger, Thorsten Stadler, Kriminalpolizei« vor.
Katia führte ihre Besucher wortlos ins Wohnzimmer und nahm selbst auf einem der großen, weichen Polstersessel Platz. Olga rollte sich zu ihren Füßen zusammen.
»Frau Kolidis, es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Ehemann verstorben ist.« Regina Jäger klang so routiniert, man merkte ihr an, dass sie Ähnliches schon dutzende Male hinter sich gebracht hatte.
Katia konnte nichts sagen, in ihren Ohren rauschte das Blut. Aris tot? Wie konnte das sein? Ein Unfall? Wo? Wann? Warum? Unendlich viele Fragen schossen ihr durch den Kopf, doch sie vermochte keine einzige davon laut zu stellen. Hilflos starrte sie die beiden Polizisten an.
»Gegen elf Uhr gestern Abend ging ein Notruf bei der Rettungsleitstelle ein«, begann nun der Mann mit der Erklärung. »Der Notarzt war acht Minuten später vor Ort in der Villa Kennedy, konnte aber nur noch den Tod Ihres Ehemanns feststellen. Frau Kolidis, hatte Ihr Mann ein Herzproblem?«
»Nicht, dass ich wüsste …«, sagte sie tonlos. Aber was wusste sie schon von Aris? Sie fühlte sich wie in einem eiskalten Nebel gefangen, und immer noch mehr Fragen kamen ihr in den Sinn. Was hatte er in der Villa Kennedy gemacht? Sie wäre selbst gerne in dem schicken neuen Hotel abgestiegen, aber Aristidis hatte auf dem Frankfurter Hof für ihren Daueraufenthalt bestanden. Und in diesem plüschigen Traditionshaus waren sie nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit einquartiert. »Hat sie etwas damit zu tun?« Katia deutete auf eine Zeitschrift, die auf dem Tisch vor ihr lag. Die Titelstory »Annalena: Liebe kennt keinen Altersunterschied« hatte ihr bereits am Vortag den Boden unter den Füßen weggezogen. Bei Annalena handelte es sich um ein extrem blondiertes, extrem langbeiniges, extrem junges Geschöpf, das bei irgendeiner Model-Casting-Show mal sein Gesicht in die Kamera gehalten hatte. Und Aris gab den zeitlosen Sugar-Daddy, der sich in einem doppelseitigen Exklusivinterview samt kitschiger Fotostrecke zu seiner »bezaubernden neuen Freundin« bekannte. Was für eine Demütigung! Sie hatte ja bereits seit Wochen geahnt, dass er sie betrog, aber es auf diese Weise bestätigt zu bekommen war mehr als geschmacklos. Natürlich hatte sie den ganzen Tag versucht, ihn zu erreichen, doch Fehlanzeige. Und jetzt war er auch noch tot. »Hat sie etwas damit zu tun?«, fragte sie erneut, diesmal in einem schärferen Tonfall.
Den beiden Polizisten war diese Frage offensichtlich unangenehm, und es
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