Mueller, Carin
Kopf …
Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren unergiebigen Tagträumereien. Keine Nummer im Display. Katia überlegte, ob sie den Anrufbeantworter anstellen sollte, denn eigentlich war ja schon Feierabend. »Hugo’s Affairs, guten Tag«, meldete sie sich schließlich doch. Könnte ja wichtig sein.
»Katia, meine Liebe, du hast mich doch nicht etwa vergessen?«
Die schmierige Stimme von Damianos ließ sie erschaudern, und sie war versucht, sofort wieder aufzulegen. »Was willst du?«, fragte sie stattdessen.
»Nur das, was mir zusteht: eine halbe Million Euro oder alternativ Zugang zum Nummernkonto meines Vaters.«
»Wann wirst du endlich begreifen, dass es weder ein Nummernkonto noch fünfhunderttausend Euro gibt?« Katia bebte. Sie hatte seit gut zwei Wochen mit einem derartigen Anruf gerechnet, seit sie und Antonella in Damianos’ Agentur gewesen waren. Und doch war sie jetzt von seiner Penetranz und dem bedrohlichen Unterton überrascht.
»Mach mir nichts vor«, erwiderte er kühl, »meine Geduld ist zu Ende. Ich brauche das Geld, und ich brauche es jetzt. Und du kannst es mir entweder freiwillig geben, oder ich werde mir den Zugang zum Konto auf meine Art besorgen! Überleg’s dir. Wir sehen uns nachher!« Damit legte er auf.
Was sollte sie nur tun? Katia merkte, wie Panik in ihr aufstieg, ihr Herz raste wie verrückt. Dieser Bekloppte schien es wirklich ernst zu meinen. Und es war bestimmt kein Zufall, dass er ausgerechnet heute, gerade jetzt angerufen hatte, nachdem sich ihre Kollegen ins Wochenende verabschiedet hatten. Antonella, Adrian, Elisa und Hugo waren nach Hamburg gefahren, um sich dort mit Georgia zu treffen, die mit Tim und ihrem brandneuen kleinen Adoptivsohn zu Besuch bei ihren Eltern war. 3 Und auch die Försters waren seit einer Woche im Urlaub. Wurde sie paranoid, oder hatte er das ganz genau ausgekundschaftet?
Aus der Schreinerei unten hörte sie die vertrauten Maschinengeräusche. Das überraschte sie. Giovanni war also wieder da. Heute Vormittag hatte er Möbel zu einem Kunden ausgeliefert und eingebaut, und sie hatte nicht damit gerechnet, dass er nochmals vorbeikommen würde. Wobei sie natürlich offiziell kein bisschen darüber nachgedacht hatte, denn Giovanni war so was von überhaupt keine Option – nie gewesen und jetzt schon gar nicht mehr. Den würde sie ganz bestimmt nicht um Hilfe bitten. Nicht nach seinem Auftritt von vor zwei Wochen. Sie war immer noch empört, wenn sie daran dachte. Und dann hatte der Kerl auch noch den Nerv, sauer zu sein. Auf sie! Unfassbar. Entschlossen wandte sie sich wieder ihren Stoffmustern zu. Sie würde jetzt ihre Arbeit zu Ende bringen und dann nach Hause gehen. Was sollte Damianos ihr schon Schlimmes antun können? Außerdem hatte sie ja Olga! Sie sah zu ihrem Hund, der völlig ermattet von der Hitze lang ausgestreckt auf dem kühlen Estrichboden lag und im Schlaf mit den Pfoten zuckte. Dass dieses Lämmchen von Hund im Notfall – und speziell in Bezug auf Damianos – auch zur Bestie werden konnte, hatte es ja schon bewiesen! Etwas beruhigter machte sie sich wieder ans Werk und stellte während der nächsten Stunde eine schöne Kollektion an Vorhang- und Möbelstoffen sowie passenden Teppichen zusammen.
Als sie fertig war, packte sie ihre Tasche, schloss das Büro ab und ging mit der wiedererwachten Olga die paar Stufen nach unten. Die große Schiebetür zur Schreinerei stand offen, aber die Maschinengeräusche waren verstummt. Dafür dröhnte jetzt in voller Lautstärke Giovannis innig geliebte Italo-Pop-CD. Der Mann war wirklich ein einziges wandelndes Klischee, dachte sie. Olga hüpfte fröhlich über den Hof, doch Katia konnte nicht anders, sie ging in die Werkstatt. Giovanni polierte gerade schwungvoll eine Tischplatte, sang dabei aus voller Kehle »Azzurro« und schien sie nicht zu bemerken. Katia stand im Türrahmen und beobachtete fasziniert, wie er, lediglich in Jeans und Unterhemd, mit kreisenden Armbewegungen die ovale Platte bearbeitete. Es roch nach Holz und Bienenwachs, und in den Sonnenstrahlen, die durch den Raum tanzten, schwirrten feine Staubpartikel. Auch in der Schreinerei war es stickig-heiß, und sie sah, wie sich Schweißperlen auf seinen muskulösen Oberarmen bildeten und sich seine dunklen Locken vor Feuchtigkeit kräuselten. Ein Teil von ihr wusste, dass sie jetzt ganz dringend gehen sollte, aber ein anderer, stärkerer stellte sich gerade sehr lebhaft vor, wie gut sich dieser austrainierte
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