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Mueller und die Schweinerei

Mueller und die Schweinerei

Titel: Mueller und die Schweinerei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raphael Zehnder
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Müller auf seiner Holzpritsche nach einer Stunde wieder erwacht, fühlt er sich sehr ausgeruht, geradezu beschwingt. All das Zittern-und-Schwitzen-und-Stottern-und-Zweifeln wie weggeschlafen. Im Kopf viel frische Luft und irgendwie alles viel besser. Kann aber in der Wirklichkeit auch damit zu tun haben, dass auf der Holzpritsche neben dem Müller, in höflichem Abstand, wie die Zivilisationsregeln ihn verlangen, aber unmittelbar gleich neben ihm, eine Frau liegt. Heisst Kathrin, wie das in den sechziger Jahren häufig der Fall war, hatten doch alle in ihrer Primarschulklasse mindestens einmal. Und der Müller Benedikt weiss auch nur, dass sie so heisst, weil sie es ihm sagt, aber natürlich erst, nachdem sie ein bisschen länger gesprochen haben, was im Sommer sich unter Unbekannten häufiger ereignet, weil sich Unbekannte dann öfter längere Zeit auf engem Raum im Freien aufhalten, sodass sie miteinander sprechen müssen. Das ist im Menschen tief drin angelegt. Es gibt Leute, die sagen: In Zürich spricht niemand mit dem anderen, ausser er will ihm an die Wäsche oder etwas verkaufen, aber stimmt so nicht. Man muss auch in Zürich differenzieren, weil hier nicht immer bloss Gedanke an Nutzen, sondern manchmal ist der Mensch einfach Mensch. So auch der Müller und Kathrin, pardon: Kathrin und der Müller. Sprechen miteinander. Was? Ist privat. Beziehungsweise, das wird allmählich privat.
    Also gut, ein kleines Müsterchen für die Atmosphäre: »Müller ist mein Name«, sagt er und weiss, dass er damit Wirkung erzielt. »Müller« … auf der Zunge zergehen lassen … ist so real. So handfest, und wirklich ein weltberühmter Name, vor allem im Fussball und in der Industrie gibt es viele Vor- und Beinamen dafür: Thomas, Gerd, Kudi, Drogerie, Milch, Patrick, Möbel und viele mehr. Also respektabel.
    Aber der Müller ist nicht so unbeholfen, wie es den Anschein nimmt. Und gut, dass unter seiner Holzliege der Diodoros liegt. So ein Buch ist schon ein Abzeichen, das sagt, dass du mindestens lesen kannst. Hat Anziehungskraft auf Frauen, wenn sie merken, dass ein Mann lesen kann. Das ist nämlich nicht so häufig. Nicht, dass ein Mann lesen kann, sondern dass er Philosophisches liest. Und so fliesst das Gespräch von Kathrin und dem Müller vom Allgemeinen zum Besonderen hinüber, vom Unverfänglichen zum Persönlichen, vom Supersommer zum Philosophischen, vom Induktiven zum Deduktiven. Müller ist in seinem Element und kann brillieren, ohne es darauf anzulegen. Und viel natürlich nicht bloss in den Worten, sondern auch in den Gesten, der Körperhaltung, den Bewegungen und – kann man sagen: Billiges Klischee bringt mich zum Gähnen. Ja, ist aber zutreffend: – im Augen-Blick. Auch wenn der Müller nicht weiss, was Kathrin im normalen Leben so treibt und in welchem Beruf sie ihr Geld verdient, weiss er, dass sie auf derselben Welle schwimmen. Eine schöne Frau im Bikini schaust du einfach anders an als eine Lokalpolitikerin oder Wirtschaftskapitänin, und einen gut erhaltenen Mittvierziger mit lebenserfahrenen Furchen im Gesicht betrachtest du nicht gleich wie einen Durchschnittsanzug mit Krawatte, in dem der Prokurist der Kraftwerksgesellschaft eingezwängt die Kostenstellen saniert. Von einem Grossbanken- CEO wollen wir, obwohl in Zürich, nun wirklich nicht sprechen.
    Ungefähr so Zusammenfassung von dem, was auf den Holzpritschen im Oberen Letten zwischen Kathrin und dem Müller vorfällt: Da liegt schon etwas Chemisches in der Luft.
    Im Grunde haben wir uns noch gar nie darüber unterhalten, was denn der Müller für einen Frauentyp bevorzugt. Weil da beginnt der Streit ja schon: Ist es ein Typ, oder interessiert er sich mehr fürs Individuelle? Schmeichelhaft und Kompliment ist natürlich schon das Zweite, weil niemand will ein Beuteschema sein. Und wir wissen ja, es gibt verschiedene Sorten von Blondinen. Natürlich hat das Individuelle einen stärkeren Reiz für einen wie Müller. Ich meine, was der Müller von Kathrin alles erfährt, das hätte ihm sicher nicht jede kurzhaarige Brünette erzählen können. Müller gefallen kurzhaarige Brünette, und zufällig ist Kathrin eine Brünette mit kurzen Haaren. Aber ihn hätte es bei diesem Gespräch auch nicht gestört, wenn sie blond oder rothaarig wäre, obwohl das Brünette gerade dem Aussehen (=Typ) von Kathrin entspricht. Andere, wo ähnlich gut aussehen und eine ähnlich lobpreisenswerte Figur haben, sind vielleicht mehr naturwissenschaftlich interessiert

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