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Muenchen Blues

Titel: Muenchen Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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gefallen. Julius saß in der Küche vor einem Brett voller Schnittchen und übte Gitarre. Vorne war die Ladentür nicht abgeschlossen, der Kunde hätte sich nur selbst bedienen müssen. Ofen aus!
    Julius fiel mir um den Hals.
    – Mann, habe ich Angst um dich ausgestanden!
    – Den Magen hast du dir dabei aber nicht verrenkt.
    Julius ließ sich nicht verdrießen und holte einen Teller, um pflichtschuldig ein paar Schnittchen abzutreten.
    – Sonst noch was, fragte er.
    – Pantoffel, Hausjacke, Weißbier. Aber zackzack!
    Julius wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
    – Julius, Schatz, bring mir ein Weißbier. Der Rest ist sicher in der Reinigung.
    Als wir uns dann gegenübersaßen, entwickelte ich meinen Plan. Wir hatten einen gemeinsamen Freund, Hinnerk Rab, der vor München ein ehemaliges Pfarrhaus in Unterastbach bewohnte. Er konnte Julius sicher eine Zeit lang ein Zimmer vermieten. Julius könnte dort wieder einen Bürobetrieb aufbauen. Die Sache in München würde ich allein weiterverfolgen.
    – Damit wäre uns allen geholfen. Du bist mit deinem ganzen Krempel untergebracht, Hinnerk hat eine Weile Gesellschaft und ich meine Ruhe.
    – Nerve ich dich?, fragte Julius.
    – Wenn wir beide mal groß und reich sind, mieten wir uns zwei Doppelhaushälften, du die rechte, ich die linke. Vielleicht will ich ja mit dir einen heben, oder du möchtest mir was auf deiner Gitarre vorspielen. Da kommt man auf viele Ideen. Jedenfalls gehen wir aus unserer Haustür raus hinüber nach nebenan zum Nachbarn und klingeln. Man bittet sich freundlich in die Wohnung und verbringt einen unvergesslichen Abend miteinander. Dann gibt man sich zum Abschied einen Kuss auf die Wange und sagt, dass man jetzt leider! leider! nach Hause muss. Verstehst du?
    Julius nickte. Ich holte mir das Telefon und rief Hinnerk an. Der klang nicht begeistert, sagte aber sofort zu. Hinnerkhat noch nie einen Freund hängen lassen. Wir verabredeten, dass wir gleich morgen anrücken würden.

17
    An solchen grauen Novembertagen wie diesem Samstagnachmittag hat man das Gefühl, dass München komplett evakuiert wurde. Man sieht keinen Menschen auf der Straße. Die Stadt ist in eine schmutzig-neblige Watte gebettet, alle lebendigen Farben sind verschwunden und die von Schwarz-Weiß abgeleiteten Zwischentöne regieren. Ich habe mich oft gefragt, was der Münchner in diesen Zeiten eigentlich macht. Wahrscheinlich sitzen alle zu Hause an ihrem Ofen, trinken süßen Likör, essen Sahneschnitten dazu und versuchen, mit viel Kaffee das bisschen Kreislauf, das auf Winterschlafniveau vor sich hin tuckert, auf Trab zu bringen. Dass man antriebslos wurde, konnte man diesem Scheißherbst ja noch nachsehen, aber musste man sich auch noch mit dieser zähklebrigen Traurigkeit herumplagen? Der Traum, den ich in diesen Zeiten immer wieder träumte, war, dass ich hinter meinem gerade abfahrenden Zug herlaufen musste, aber nicht vom Fleck kam, weil ich mit meinen Sohlen am Pflaster pappte.
    Ich fuhr mit Julius am Nordfriedhof vorbei. Bezeichnenderweise entging der jahreszeitlich eingeschränkten Aufmerksamkeit kein einziger Friedhof. Auch die Leichenwagen schienen mehr als sonst das Stadtbild zu beleben. Julius klimperte ein wenig auf seiner Gitarre. Es klang nach Blues, ein Blues,der vor allem die anrührte, die ihren Kopf ein halbes Jahr durch graue Watte tragen müssen, wie der kanadische Holzfäller, der schottische Schäfer und natürlich der Schlachthofviertelbewohner. Vielleicht sollte man gerechtigkeitshalber auch noch den finnorussischen Tundrabauern anfügen. Aber nur in nüchternem Zustand. Hat er sich erst mal mit zu viel Wodka die Birne zugeknallt, ist jedes Gefühl für den Blues in ihm erloschen.
    Hinnerk empfing uns mit einer großen Kanne Tee auf dem Stövchen und einem selbst gebackenen Butterkuchen. Besser konnte der Empfang für Julius gar nicht laufen, wo er doch ohnehin ständig bedürftig war und das Gefühl hatte, sich etwas Gutes tun zu müssen. Anschließend luden wir seine Sachen aus. Hinnerk hatte das ehemalige Haushälterinnenzimmer für ihn frei gemacht. Bald war alles so weit geregelt und Julius bestens eingetütet. Er fühlte sich so kommod, dass er anfing, einen Riesenjoint zu bauen. Ich zog schon gern mal einen durch, aber nicht, wenn ich auf Kriegspfad war. Ich sagte den beiden daher, dass dies ein unvergesslicher Nachmittag gewesen sei, ich aber nun leider! leider! nach Hause müsse. Julius grinste.
    – Pass auf dich auf, Gossec!
    Ich

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