München Manhattan #1
Boden. Sie zieht wieder an ihrer Zigarette und bläst den Rauch in den verschneiten Garten. Dann spricht sie zögernd weiter: „Auf jeden Fall hat mein Bruder mir noch nie geschrieben, dass meine Blicke ihm den Verstand rauben und er meinetwegen nicht mehr schlafen kann. Also habe ich ihn angerufen und zur Rede gestellt. Er hat mir hoch und heilig geschworen, dass das ein Witz zwischen ihm und einer Kollegin wäre und auf keinen Fall irgendetwas mit einer Affäre zu tun hätte. So etwas würde er doch nie tun, bla , bla , bla . Ich habe ihm nicht so richtig geglaubt. Und da fiel mir auch Charlotte wieder ein.“
„Spätestens dann hättest du mit mir sprechen müssen!“, sagt Kristin jetzt sehr leise. Sie steht neben Susanna an der offenen Terrassentür.
Susanna sieht ihre Schwägerin jetzt ganz direkt an.
„Hätte ich das wirklich, Kristin? Überleg doch mal. Wenn es wirklich ein Witz zwischen Kollegen war, was hätte ich dann angerichtet? Ich wusste nicht was ich machen sollte und deswegen habe ich Sophie nach ihr gefragt. Die hat sich bei dem Thema Charlotte gewunden wie eine Schlange. Irgendetwas war da, was sie auf keinen Fall erzählen wollte. Du weißt ja, Sophie hat so ihre Geheimnisse, und über ihre New York Zeit spricht sie nicht viel. Da kam ich nicht weiter. Aber mich hat die Sache nicht losgelassen. Irgendetwas war mir schon bei dem Dinner an Charlotte bedrohlich vorgekommen. Es war so ein Gefühl …“
„Was für ein Gefühl? Jetzt sag schon Susanna. Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ Kristins Ton ist jetzt noch fordernder geworden.
„Jetzt warte doch mal, Kristin – ich bin noch nicht fertig.“ Susanna drückt ihre Zigarette im Schnee aus und holt tief Luft.
„Da mir sonst keiner einfiel, den ich zu Charlotte befragen konnte, habe ich sie gegoogelt . Ihren Nachnamen wusste ich vom Dinner und wo sie arbeitet auch. Und bei meiner Recherche bin ich dann auf etwas gestoßen, was mich umgehauen hat. Ein Zeitungsausschnitt über ein eingestelltes Stalking Verfahren. Nach einigen Clicks und Links – Google sei Dank – hatte ich die Geschichte zusammen: Vor ein paar Jahren soll sie einem erfolgreichen Geschäftsmann so verfallen gewesen sein, dass sie ihn auf Schritt und Tritt verfolgt haben soll. Er war aber ein verheirateter Familienvater und hat irgendwann die Polizei eingeschaltet …“
***
MANHATTAN. DIENSTAG 10 UHR
Ja, sie hat einen schönen Kleiderschrank. Penibel geordnet hängen da die Designerstücke. Würde mich ja schon reizen hier das eine oder andere Stück umzuhängen. Nur um zu zeigen, dass ich da war.
Natürlich hat er mich nicht mit hierher genommen. Nein, dazu ist er viel zu anständig. Die Geliebte in die eigene Wohnung mitzunehmen, das würde ihm nicht einfallen.
Auf der anderen Seite war er nicht anständig genug, als verheirateter Mann seine Finger von mir zu lassen.
Aber wie ich ja immer sage, Wissen ist Macht. Und deswegen schaue ich mich hier mal um. War nicht schwierig hier reinzukommen. Die Putzfrau hat mir aufgemacht. Ein paar nette Worte, eine kleine Lüge und schon ist man drin im Allerheiligsten einer Familie. Ihrem Zuhause.
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DER DEAL
MÜNCHEN. DIENSTAG 15 UHR
Sophie gibt sich einen Ruck. Einen Moment lang, hat sie den Mut, den sie braucht, um Kristin anzurufen. Sie tippt die Nummer ein. „The person you are calling is temporarily not …“ Sophie legt auf. Ihre Hände zittern.
Wie viel soll sie denn erzählen? Auch davon, dass sie es ja eigentlich erst möglich gemacht hatte?
An dem besagten Abend war Charlotte noch ein wenig geblieben. Sie wollte zwar nicht übernachten – natürlich hatte sie eine Suite im Bayerischen Hof gebucht – aber sie wollte noch ein wenig plaudern.
Plaudern – das war ja eigentlich nichts, was man entspannt mit Charlotte machen konnte. In ihrem perfekten, Downtown -Manhattan-Style Outfit hatte sie überhaupt nicht in die individuell eingerichtete Künstlerküche gepasst. Die roten Louboutin -Boots waren einen Tick zu schrill für das Münchner Fischgrät -Parkett gewesen.
Sophie hatte sich vor Müdigkeit die Schläfen gerieben. Sie wollte damals eigentlich nur noch die Küche aufräumen und dann ins Bett. Am nächsten Tag war Schule gewesen.
„Dieser Peter. Der ist ja ein ganz schöner Leckerbissen“, hatte Charlotte gesagt.
„Finger weg, Charlotte! Das meine ich total ernst. Der Mann ist glücklich verheiratet mit einer meiner besten Freundinnen und die beiden haben
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