München Manhattan #1
vorbei.
„Mama, ich kann das mit dem Gurt nicht!“ Anna jammert und blickt fragend zu ihrer Mutter.
„Moment, Schatz. Das haben wir gleich. Nein, lass bitte den Tisch oben. Den kannst du erst runterklappen, wenn wir schon in der Luft sind. Nein, Tom – du auch nicht. Warte mal, hier sind noch die Gummibärchen. Die darfst du mit Anna teilen.“
Anna reißt ihrem Bruder die Tüte aus der Hand. Er schreit auf.
„Teilen, habe ich gesagt.“ Susanna verhandelt zwischen den Streithähnen. Das wird sicher ein anstrengender Flug. Alleine mit zwei Kindern. Und Tom ohne Mittagsschlaf.
Während sie sich zwischen ihre streitenden Kinder klemmt, fällt ihr siedendheiß etwas ein – hoffentlich sind Peter und Kristin überhaupt da! Daran hat sie ja gar nicht gedacht! Was ist, wenn sie übers Wochenende in die Hamptons gefahren sind und noch einen oder zwei Tage drangehängt haben, wie sie es ja manchmal machen?
Susannas Atem geht schneller. Auf einmal bekommt sie es mit der Angst zu tun. Was tut sie hier? Wie ist sie denn auf einmal in dem Flieger gelandet? Wie konnte sie Robert in dem ganzen Schlamassel so im Stich lassen? Eine Ehe bedeutet doch, dass man zusammenhält! Gerade, wenn es schlimm wird. Und jetzt ist es schlimm! Die ganzen Schulden und dann noch ihre privaten Probleme. Wie konnte sie nur …?
Deng. Susanna fliegt ein harter Gegenstand an den Kopf.
„Mein Lightning McQueeeeen …!“, ruft Tom. Susanna lächelt gequält. „Nicht werfen, Tom.“
Die neun Stunden Flug, die vor ihr liegen, kommen ihr wie eine Ewigkeit vor.
Susanna sackt in sich zusammen. Sie starrt aus dem Fenster. Die Motoren heulen auf und dann – ein kräftiger Schub. Sie macht die Augen zu. Die Maschine hebt ab.
***
ALLES AUF EINMAL
MANHATTAN. MONTAG 11 UHR
Kristin sitzt im Büro der Galerie und starrt auf ihren Bildschirm. Eigentlich muss sie sich um die Bilder für Steve kümmern. Auftrag ist Auftrag. Auch wenn sie mit dem Auftraggeber geschlafen hat.
Steve. Ihre Gedanken schweifen ab. Als sie gestern Abend aus den Hamptons zurück nach Manhattan gekommen war, hatte sie ihr Handy wieder eingeschaltet. Zwei SMS von Steve hatten sie erwartet. Die erste war noch vom Samstag.
HÄTTE DICH GERNE HIER IN
DALLAS …
Und die zweite, die er am Sonntag geschickt hatte, lautete:
AUS DEN AUGEN AUS DEM
SINN?
Sie hatte das Handy einfach wieder abgeschaltet. Was sollte sie jetzt mit Steve machen? Gestern Abend war ihr der Gedanke einfach zu kompliziert gewesen. Sie war so erschöpft gewesen von Peters Aussprache. Von diesem ganzen Drama mit Charlotte. Braucht sie selbst noch eine heimliche Liebesaffäre?
Heute Morgen weiß sie es – die kann sie im Moment gar nicht gebrauchen. Das passt nicht auch noch in ihr kompliziertes Leben. Sie muss ihren Job mit Steve abwickeln und mehr geht nicht. Energisch greift sie zu ihrem Handy. Sie tippt eine Antwort für Steve ein:
WAR MIT MEINEM MANN IN
DEN HAMPTONS. ER HAT MIR
ALLES GEBEICHTET. MUSS
JETZT ZU IHM HALTEN.
Wird ihn das jetzt in seiner männlichen Ehre kränken? Wird er den Auftrag stornieren? Einen Auftrag, den sie so dringend braucht. Soll sie dieses Risiko eingehen? Ja, das muss sie wohl. Sie drückt auf senden.
Ihre Entscheidung hat sie getroffen, denn sie liebt ihren Mann. Und auch wenn er sie zutiefst verletzt hat – sie wird ihn jetzt nicht im Stich lassen. Er hat einen großen Fehler begangen, aber sie weiß, dass er sie auch liebt. Sie muss ihm verzeihen. Und das ist gar nicht so einfach.
Auf der anderen Seite hat sie ihn ja auch betrogen. Wenn er das wüsste, könnte er ihr das einfach so verzeihen? Aber ihr größtes Problem ist ein anderes: Wird sie ihm jemals wieder vertrauen können? Was ist, wenn er bis spät abends arbeiten muss? Was, wenn er auf Geschäftsreisen geht? Wird sie dann nicht immer Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Termine haben?
Und dann ist da noch etwas. Sie kann ihn einfach nicht berühren. Sie kann noch nicht mal seine Hand in der ihren ertragen. An Sex ist überhaupt nicht zu denken. Und das liegt nicht nur an der Sache mit Steve. Das Bild von Peter mit der anderen Frau: Das ist immer noch zu präsent.
Vielleicht brauchen sie eine Ehetherapie. Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert. Das wird sie Peter heute Abend vorschlagen. Denn einfach so weitermachen, als ob das alles nicht passiert wäre, das wird nicht gehen. Ihre Gedanken werden unterbrochen. Ihr Handy. SMS.
OK. BIST EINE WUNDERBARE
FRAU.
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