München Manhattan #1
Mutter. Sie stehen an der Kasse im Supermarkt in Mamaroneck . Eigentlich ist der Kühlschrank noch voll, aber Susanna hat es zuhause nicht mehr ausgehalten.
Ruhe und Brandung und Ruhe und Brandung. Nach vier Tagen alleine mit zwei kleinen Kindern und keiner Nachricht von ihrem Mann, ist ihr die Decke auf den Kopf gefallen.
Gestern Abend hat sie versucht Kristin und Peter anzurufen, weil sie den Eindruck hatte, sie wird hier draußen in der idyllischen Einöde noch wahnsinnig. Aber es war keiner zu erreichen gewesen. Heute Morgen auch nicht. Wahrscheinlich haben sie die Nase voll von ihrem Gejammer.
Die beiden haben schließlich auch ernste Probleme. Peters Arbeitslosigkeit kann ja auch kein leichtes Päckchen für Kristin sein. Wo Kristin doch immer gerne alles in trockenen Tüchern hat und ungern ein Risiko eingeht. Und die ganze Zeit, die sie in New York war, hat Susanna kein einziges Mal mit ihr darüber geredet. Was ist bloß in sie gefahren? Seit wann ist sie so eine egozentrische, selbstmitleidige Heulsuse geworden?
„Was denn, Anna?“ fragt Susanna jetzt genervt. „Tom, leg sofort die Smarties wieder ins Regal zu rück!“
„Ich will ein Eis!“, jammert Anna.
„Ein Eis? Liebes Fräulein, draußen sind es null Grad. Vorhin wolltet ihr beide noch nicht mal vor die Tür, weil es so geschneit hat und gerade noch hast du mir erklärt, du würdest frieren!“
„Aber Mama – immer versprichst du was und dann …“
„Wie bitte? Ich habe überhaupt nichts über ein Eis gesagt“, sagt Susanna.
„Hast du wohol , Mama! Gerade habe ich dich gefragt, und du hast gesagt: Jaja! Der Papa kauft mir immer ein Eis, wenn ich mit ihm in den Supermarkt gehe!“ Anna stampft mit beiden Füßen.
„Papa im Supermarkt! Ha! Wann soll das denn gewesen sein? Und außerdem ist Papa gerade nicht da! Oder siehst du ihn irgendwo?“
Tom und Anna schauen beide erschreckt ihre Mutter an. Susannas Tonfall ist strenger und schärfer als sonst. Sie brechen beide in Tränen aus.
„ Pappaaaaa … Ich will zu Papa …“, weinen jetzt beide Kinder.
„Entschuldigt, bitte, ihr Süßen.“ Susanna kniet sich vor ihre Kinder und nimmt sie beide in den Arm. Sie drückt Anna und Tom ganz fest an sich und streichelt ihre kleinen Köpfe.
Was bin ich nur für eine schreckliche Mutter! Jetzt schrei ich auch noch meine Tochter an, nur weil sie ihren Vater erwähnt hat.
„Ma’am?“ Die Kassiererin schaut Susanna fragend an.
„Ja, natürlich.“
Susanna stapelt die wenigen, völlig planlosen Einkäufe aufs Förderband, während ihre Kinder sich immer noch an ihre Hosenbeine krallen und ihre schniefenden Nasen an ihrer Jeans abwischen.
Sie greift in ihre Handtasche und will ihr Portemonnaie rausziehen. Nichts. Sie kramt und kramt. Nur Taschentücher, Pixibücher , Schlüssel, Kaugummis, Quittungen. Kein Portemonnaie. Mist. Sie hat es auf dem Küchentisch liegenlassen. Wie peinlich. Es geht hier nur um 11,51 Dollar. Und die kann sie nicht zahlen. Genau das hat sie jetzt auch noch gebraucht.
Susanna sagt der Kassiererin peinlich berührt, dass sie auf den Einkauf verzichtet, als sich eine tiefe Stimme ins Geschehen einmischt.
„Ich übernehme das für sie. Erlauben sie, gnädige Frau?“
Ein hochgewachsener, schlanker gutaussehender Mittvierziger spricht sie auf Deutsch an. Susanna ist zu verdattert, um abzulehnen. Sie nickt automatisch.
Als Susannas Waren bezahlt sind und sie ihre Kinder in den Einkaufswagen setzt, dreht sie sich verschämt zu ihrem Gönner um.
„Das hätten sie wirklich nicht … Vielen Dank … Ich habe mein Portemonnaie zuhause vergessen.“
„Nicht der Rede wert, das habe ich gerne gemacht.“
Susanna ist sprachlos. Dieser gutaussehende Mann sieht sie interessiert an. Und das, obwohl sie Kinder hat!
„Entschuldigen sie bitte. Ich habe vorhin überhört, dass der Vater der Kinder nicht hier ist. Dürfte ich vielleicht sie und die Kinder auf einen Kaffee und Kakao einladen?“, fragt er dann auch noch ganz ungeniert.
„Sag ja, Mama!“, ruft Anna. „Und ich und Tom wollen ein Eis!“
„Anna! Bitte!“ Und zu ihrem geheimnisvollen Verehrer: „Nein, danke. Das ist sehr freundlich. Wenn sie mir allerdings ihre Bankverbindung geben, dann könnte ich ihnen meine Schulden überweisen…“
Der attraktive Mann mit den grauen Schläfen lacht. „Nicht nötig. Es war mir wirklich eine Freude. Es passiert nicht oft, dass man einer so schönen Frau aus der Patsche helfen kann.“ Er lächelt sie noch
Weitere Kostenlose Bücher