Muensters Fall - Roman
das war mehr als genug nach den gesunden Schnittchen –, und als sie vor ihrem zufälligen Exil in der Gerckstraat parkte, spürte sie, dass es jetzt nur noch zwei Dinge gab, die sie wieder auf die Beine bringen konnten.
Ein langes heißes Bad und ein großer Cognac.
Glücklicherweise lagen beide Projekte im Rahmen des Möglichen, sodass sie ihre Seele endlich wieder öffnete und aus dem Auto stieg. Ganz gegen ihre Gewohnheit nahm sie den Fahrstuhl zum fünften Stock und begann sogar irgendeinen von diesen modernen Ohrwürmern zu summen, den sie wahrscheinlich im Autoradio oder bei Zimmermann’s gehört hatte.
Als sie die Fahrstuhltür öffnete, war das erste, was sie sah: Claus. Er saß auf dem Fußboden vor ihrer Wohnung, und er hatte einen großen Strauß roter Rosen im Schoß.
Er schaute sie mit glänzenden, übernächtigten Augen an.
»Ewa«, sagte er.
Sie fühlte, wie die Butterbrote ihr hochkamen. Scheiße, dachte sie. Ich kann nicht mehr.
Sie riss die Fahrstuhltür wieder auf und fuhr hinunter. Hastete
über die gepflasterte Auffahrt und war bereits im Auto, als er in der erleuchteten Haustür auftauchte.
»Du Armer«, murmelte sie und suchte nach den Schlüsseln. »Verzeih mir, aber ich schaffe es einfach nicht.«
Dann startete sie und fuhr davon, auf der Suche nach einem erträglichen Hotel.
Münster träumte.
Anfangs war es noch reichlich unschuldig. Eine Art Zusammenkunft mit fröhlichen, festlich gekleideten Menschen, die Gläser in der Hand hielten und offene, freundliche Gesichter hatten. Er kannte einige – Kollegen und gute Freunde, von ihm selbst und von Synn. Nur die Räume erschienen ihm irgendwie unbekannt, ein Wirrwarr verschiedener Zimmer, Treppen und Flure, und mit der Zeit schlich sich auch das Gefühl von etwas Unangenehmem ein. Von etwas geradezu Erschreckendem... Er ging um alle diese verschiedenen Winkel und Ecken, sie wurden immer kleiner, immer dunkler, mit immer unbekannteren Männern und Frauen, die irgendwelche das Licht scheuenden Dinge unternahmen. Und die ganze Zeit stieß er auf Leute, die mit ihm reden und mit ihm anstoßen wollten, aber er konnte nirgends für längere Zeit stehen bleiben ... da gab es etwas, was ihn weiterzog, er suchte nach etwas, und erst als er angekommen war, verstand er, was es war.
Er kam in ein weiteres Zimmer. Es war dunkel, und zuerst glaubte er, dass es auch leer war, aber dann hörte er etwas. Jemand flüsterte seinen Namen. Er ging weiter und fühlte die Hand einer Frau auf seiner Brust. Sie drückte sich an ihn, und er wusste sofort, dass er nur ihretwegen hier war. Ganz allein ihretwegen.
Ihre Nacktheit war offensichtlich, und es war auch klar, dass sie einander lieben sollten. Sie zog ihn zu einem niedrigen, breiten Bett vor einer Feuerstelle, auf der ein fast erloschenes Feuer noch leicht glühte ... ja, es war ganz klar, dass sie miteinander schlafen wollten, und ihm war auch ganz klar, dass die Frau Ewa Moreno war. Ihr dickes kastanienbraunes Haar, ihre Mandelaugen,
ihre kleinen, festen Brüste, die er bisher noch nie gesehen hatte, von denen er aber trotzdem wusste, dass sie so aussehen und sich so anfühlen mussten ... und ihre Haut, in der sich die Glut spiegelte, nein, nichts konnte deutlicher sein. Schon nach wenigen Sekunden war auch er nackt. Er lag auf dem Bett, und sie saß rittlings auf ihm und führte ihn in ihren heißen Schoß ein, und er sah, wie sich ihr glänzender Körper hob und senkte, und das war unfassbar schön; aber dann merkte er, wie die Tür vorsichtig geöffnet wurde und merkte es doch wieder nicht ... erst als er seine Kinder sah, Bart und Marieke, die in einem Meter Abstand stehen blieben und ihn mit ernsten und etwas traurigen Augen betrachteten.
Er erwachte von seinem eigenen Schrei. Synn wälzte sich unruhig hin und her, und er fühlte den kalten Schweiß, der wie ein Panzer aus Angst auf seiner Haut lag. Er blieb noch einen Moment unbeweglich liegen, bevor er vorsichtig aufstand, ins Badezimmer tappte und zehn Minuten lang duschte.
Als er zurück ins Schlafzimmer kam, sah er, dass die Uhr Viertel nach vier zeigte. Er hob die Decke und kroch dicht an Synns warmen Rücken. Dicht, ganz dicht.
So blieb er liegen, sie in seinen Armen, und schlief die ganze Nacht lang keine Sekunde mehr.
Etwas ist dabei, zu geschehen, dachte er.
Aber es darf nicht geschehen.
16
Der Mittwochmorgen war wie eine Beerdigung in einer fremden Sprache. Auf dem Weg zum Polizeipräsidium wäre er zweimal fast
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