Muetter ohne Liebe
trinken, und wenn er abends um sechs oder sieben im Bett lag, dann hatte ich endlich Feierabend und ging in die Kneipe noch etwas trinken. Und wenn er «Mami» schrie, dann ärgerte mich das, weil ich keine Rolle sein wollte, sondern eine Person mit eigenem Namen. Und wenn er gerne mit anderen spielen ging, dann konnte er gar nicht lange genug wegbleiben […] Ich lebe ohne Kind, weil ich nur so meinen jetzigen Beruf ausfüllen kann […] Das heißt: keinen Stress haben, sondern ausgeruht und konzentriert auf meine Klientinnen eingehen können […] Gregor ist für mich eine Zwangsbeziehung. Und entsprechend hat sich unser Zusammenleben gestaltet. Und selbst in den wenigen Tagen, die wir jetzt noch zusammen sind, erlebe ich es so. Nicht, dass ich ihn nicht mag – doch besser aus der Ferne. (Aus einem Interview mit einer 35-jährigen Lehrerin/Atemtherapeutin mit einem elfjährigen Sohn, der nicht bei ihr lebt; Leyrer 1996, S. 122f.)
Aus diesen Zeilen weht ein kalter Hauch von Ablehnung und Lieblosigkeit und sie sind nicht einfach zu verdauen. Ich zitiere sie deshalb so ausführlich, weil es selten ist, dass sich eine Mutter so offen äußert. Ihre Schilderung der Beziehung zu ihrem Sohn zeigt aber einige wesentliche Merkmale der Form von mütterlicher Lieblosigkeit auf, die uns hier beschäftigt: Kälte, Ablehnung, Gleichgültigkeit und Versagung.
Auffallend ist zunächst, und das ist für lieblose Mütter ganz allgemein charakteristisch, dass vom Be- oder Empfinden des Kindes mit keinem Wort die Rede ist. Deutlich werden Desinteresse und Teilnahmslosigkeit gegenüber der Person des Kindes. Absolute Priorität haben die Interessen und Bedürfnisse der Mutter. Die Beziehung zum Kind ist primär durch Ablehnung gekennzeichnet, es besteht keine positive (Ver-)Bindung zu ihm. Es wird als Last empfunden und stört im Leben der Mutter («Gregor ist für mich eine Zwangsbeziehung»). Auch eine körperliche Nähe zum Kind wird abgelehnt («Er war zu faul, von meiner Brust zu trinken»).
Im Folgenden seien zentrale Kennzeichen einer distanzierten, versagenden Mutter beschrieben.
Das Kind als Last und Störfaktor
Das Kind wird von der Mutter nicht gewollt und nicht gebraucht. Sie findet keinerlei Befriedigung am Leben mit ihm. Das Kind wird als Last wahrgenommen, das das eigene Leben einschränkt und zu dessen Verarmung beiträgt. Das Kind erlebt deutlich, dass es stört. Eine Patientin:
Ich war der Mühlstein an ihrem Hals. Wenn ich nicht wäre, so sagte sie es mir oft genug, hätte sie Karriere gemacht und hätte sie all ihre Reisepläne verwirklichen können.
Im ersten Kapitel wurde bereits der Unterschied zwischen der bedingten und der unbedingten Liebe erläutert. Die Tragik des Kindes einer ablehnenden, unerreichbaren Mutter besteht darin, dass auch eine bedingte Form der Liebe niemals erreichbar ist. Liebe und Anerkennung werden ihm versagt. Egal, wie es sich verhält, sich anpasst, sich bemüht: Es kann diese Liebe durch nichts erwerben oder erzeugen. Psychologisch gesehen ist und bleibt das Kind einer solchen Mutter/Pflegeperson, real oder emotional von ihr verlassen, ein «Waisenkind». Äußerlich betrachtet handelt es sich häufig um eine klassische «gute Mutter», die ihr Kind «ordentlich versorgt». Psychisch und emotional aber ist sie ohne Wärme und lehnt das Kind, ausgesprochen oder unausgesprochen, ab.
Meine Mutter ist nicht meine Mutter und wird es nie sein. Biologisch ist sie meine Mutter, auch sozial. Sie hat mich gekleidet, sie hat mich morgens in die Schule geschickt, sie hat meine Klavierstunden bezahlt. Aber emotional ist sie nie meine Mutter gewesen.
Die Unerreichbarkeit der Mutter
Es heißt, das Gegenteil von Liebe sei nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Auch in unserem Fall ist es problematisch, dass die Mutter für das Kind zwar physisch, aber eben nicht emotional erreichbar ist. Neuere Studien (vgl. Deegener/Körner 2005, S. 143) deuten darauf hin, dass sich dies besonders zerstörerisch auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Das ist umso tückischer, weil es sich um eine eher passive, leise, nach außen hin als solche nicht auffallende Form von Gewalt gegen das Kind handelt. Eindrücklich kommt dies in der Schilderung einer jungen Frau im Buch von Simone Schmollack «Ich wollte nie so werden wie meine Mutter» zum Ausdruck:
Ich hatte nie das Gefühl, meine Mutter vernachlässigt mich. Sie war zwar kaum zu Hause, aber ich konnte sie jederzeit anrufen. Wir haben immer viel
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