Muetter ohne Liebe
zu verstehen: «Komm mir nicht zu nah.»
Eine Patientin erzählt:
Es gibt ein Foto, auf dem ich zweijährig bin und von meiner Mutter gefüttert werde. Mit weit ausgestrecktem Arm löffelt sie mir darauf den Brei in den Mund. Normalerweise wäre das ja ein Moment von Nähe. Das Foto aber drückt Distanz und Kälte aus.
Eine andere berichtet:
Sie hat mich auch körperlich nicht gemocht. Als ich ca. sechsjährig war, habe ich sie tatsächlich darum gebeten, mich doch auch einmal in den Arm zu nehmen. Ich hatte es bei meiner Freundin gesehen, dass Mütter manchmal zärtlich zu ihren Kindern sind und ich hatte eine solche Sehnsucht nach Berührung. Ich sehe die Szene noch heute ganz genau vor mir und höre, wie sie sagte, ganz kalt und kurz und trocken: «Nein, das will ich nicht.»
Viele Frauen berichten von ähnlichen Erfahrungen:
Sie hat mich nie umarmt oder geküsst oder überhaupt aus freien Stücken berührt.
Sie hat mich buchstäblich von sich weggestoßen, wenn ich mich ihr körperlich nähern wollte.
Zärtlichkeit von meiner Mutter? Da gibt es keine Erinnerung, da war nichts. Wenn ich verletzt war – und ich habe mich oft gestoßen, weil ich ein lebhaftes Kind war –, hat sie mich nie in den Arm genommen und getröstet. Sie hat nur gesagt: «Übermut tut selten gut.» (Zit. n. Schützenhöfer 2004, S. 99)
3.1.3 Emotionale Unberührbarkeit
Das letzte Zitat macht es bereits deutlich: Die Mutter ist nicht nur körperlich, sondern auch gefühlsmässig nicht berührbar. Sie ist nicht in der Lage, sich in ihr Kind einzufühlen und sich von seinen Gefühlen berühren zu lassen. Sie selber zeigt kein(e) Gefühl(e) und sie will auch nicht, dass ihr Kind es tut. Sie ist hart gegen ihr Kind, aber oft auch hart mit anderen und mit sich selber.
Meine Mutter ist eine emotionslose Frau. Seit ich sie bewusst wahrnehme, springt mir ihre Gefühlskälte entgegen. Mütterliche Wärme kenne ich nicht, kannte ich nie.
Meine Mutter war stets distanziert und weit weg von mir.
Da war immer ein kalter Glanz in ihren Augen, wenn sie mich ansah. Es war atmosphärisch so wie bei der Schneekönigin im Märchen.
Die Verleugnung und die Geringschätzung der Gefühle des Kindes, die mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zur Einfühlung spiegeln sich im Erleben verschiedener Patienten und Patientinnen:
Sie hat jegliche Art von Gefühlsausdruck unterbunden.
Wenn ich weinte, hieß es: «Sei nicht so kindisch» oder «Was für ein Baby du bist». Wenn mir etwas weh tat, sagte sie: «Stell dich nicht so an», wenn ich mich über etwas freute: «Musst du so überkandidelt tun?»
Als ich erwachsen war, und mit gutem Grund erst dann, erzählte ich ihr, dass ich als Dreizehnjährige vergewaltigt worden bin. Ich werde den kühlen Blick, mit dem sie mich daraufhin ansah, nie vergessen und auch nicht wie sie ganz cool sagte: «Das erstaunt mich gar nicht. Du hast ja schon als Zweijährige mit Männern geflirtet.»
Als ich so acht Jahre alt war, blieb mir einmal ein Stück Haut von einer Pflaume im Hals stecken. Ich würgte und hustete ohne Erfolg, es ging nicht weg. Ich hatte Panik zu ersticken, wirklich Todesangst. Meine Mutter saß neben mir am Tisch, sah zu und tat nichts, um mir zu helfen. Außer dass sie sagte: «Musst du jetzt so ein Theater machen?»
Besonders die letzten beiden berichteten Erfahrungen verdeutlichen nicht nur Uneinfühlsamkeit und Härte, sondern zeigen darüber hinaus, wie fließend der Übergang zu verbaler Gewalt ist, auf die später eingegangen wird.
3.2 Ursachen und Hintergründe
Es gibt bisher sehr wenig wissenschaftliche Forschungen und Forschungsergebnisse zu «Müttern ohne Liebe» (Muttermythos!). Schon gar nicht gibt es sie zum Mutter-Typ der ablehnenden, desinteressierten Mutter und zu den Ursachen und Hintergründen ihrer Beziehung zum Kind. Darum sollen hier vor allem auch die Beobachtungen und Vermutungen von Kindern, die mit lieblosen Müttern aufgewachsen sind, sowie die seltenen Zeugnisse, in denen Mütter sich selbst äußern, berücksichtigt werden. Insgesamt kristallisieren sich verschiedene Kategorien von Ursachen einer heraus:
• die Biografie der Mutter
• die selektive Liebe bzw. Ablehnung
• die Enttäuschung über das eigene Leben
• die solipsistische Persönlichkeit.
3.2.1 Die Biografie der Mutter
Nach übereinstimmender Meinung von Autorinnen und Autoren, die sich mit problematischen Mutter-Kind-Beziehungen beschäft igt haben, wirken sich
Weitere Kostenlose Bücher