Muetter ohne Liebe
überwiegende Mehrheit. Über diese Realität jedoch offen und sachlich zu sprechen, ist ein von Scham und Schuld begleitetes Tabu. Entgegen der Glorifizierung der Mutter-Kind-Beziehung zeigen die Studien zur Familiengewalt, dass Mütter in der Erziehung gewaltbereiter sind als Väter, bei schweren Gewaltformen gleichen sich die Unterschiede an, jedoch sind Mütter bei schwerer Misshandlung ebenso häufig wie die Väter Täter.
Das Spektrum körperlicher Gewalt ist also sehr groß und reicht von leichten Formen («Klaps» auf den Po) bis hin zum Ausleben unkontrollierter Wut- und Hassgefühle und sadistischer Regungen. Auf wissenschaft licher Ebene wird hier noch zu wenig differenziert geforscht und auf die gesellschaftliche Realität eingegangen. Bei Recherchen im Internet stieß ich auf einige Foren, in denen Mütter das Thema der körperlichen Gewalt gegen Kinder miteinander diskutierten. Die Aussagen dieser Beiträge decken sich mit dem Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen, wonach ca. 70-80 % der Mütter, ob mit oder relativ frei von Scham, äußern, dass ihnen schon einmal «die Hand ausgerutscht» sei und sie in bestimmten Situationen auch einen kontrollierten «Klaps» auf den Po befürworten.
Auf der anderen Seite des Spektrums der Gewalt stehen 10-15 % der Kinder, die so schwerwiegend misshandelt werden, dass sie infolgedessen gesundheitliche Beeinträchtigungen und schwere seelische Entwicklungsstörungen erleiden.
5.1.4 Sexueller Missbrauch
Wenn du klein bist, ist sie diejenige, zu der du läufst, wenn dir etwas weh tut, der erste Mensch, mit dem du schmust, der dich liebt und sich um dich kümmert. Wenn sie dich dann missbraucht, ist es sogar schlimmer, als wenn dein Vater das macht.
Dies sagt ein junger Mann, der als Kind von seiner Mutter sexuell missbraucht wurde. Obwohl sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen immer mehr öffentlich thematisiert wird, liegt doch die Tatsache noch immer ganz im Dunkel gesellschaftlicher Unbewusstheit, dass auch Frauen und Mütter Täterinnen sind. Im Jahresbericht des Vereins Zürcher Sozialprojekte (2007) ist zu lesen: «Seriöse Schätzungen aus Deutschland gehen davon aus, dass der Anteil an Täterinnen bei sexuellem Missbrauch an Kindern bei rund 10 % liegt und damit alles andere als vernachlässigbar gering ist.» (S. 11) Betroffen von sexuellem Missbrauch durch ihre Mütter sind Jungen wie Mädchen. Sie werden überdies emotional ausgebeutet, ihre Abhängigkeit wird ausgenutzt und ihr Vertrauen missbraucht. Die Mutter befriedigt über sexuelle Handlungen an ihrem Kind auch Bedürfnisse nach Liebe, Sicherheit und Zuwendung.
Tragisch hierbei ist die ausgeprägte Verleugnung der Problematik und die Ignoranz den Betroffenen gegenüber. Festgelegte Rollenklischees und das idealisierte Bild der Mutter tragen zu größten Widerständen bei, wenn es um Frauen und insbesondere um Mütter als Täterinnen geht und führen zu einer Dynamik des Schweigens und Verleugnens. Mütter sind in gängiger Vorstellung keine Täterinnen, das liegt außerhalb des Vorstellungsvermögens und ist bedrohlich zu denken. Aufgrund dieser gesellschaftlichen Wahrnehmungsblockade, selbst von Fachpersonen wie Beratern und Ärztinnen, wird sexueller Missbrauch, der von Frauen begangen wurde, noch weniger aufgedeckt als der von Männern.
5.2 Ursachen und Hintergründe
Meist wirken bei der Entstehung von Gewalt verschiedene Faktoren zusammen: individuelle, familiäre, soziale und gesellschaft liche. Auch auf der psychologischen Ebene gibt es verschiedene Faktoren, die Gewalt gegen Kinder begünstigen. Die eigene Lebensgeschichte der Mutter spielt häufig eine Rolle, Frustration angesichts des eigenen als ohnmächtig empfundenen Lebens, überfordernde, unglückliche Lebensumstände oder ganz einfach das Bedürfnis nach Dominanz und Machtausübung – all das sind mögliche, Gewalt begünstigende Umstände.
5.2.1 Der Kreislauf der Gewalt
Auch im Fall der Gewalt ausübenden Mutter ist es häufig so, dass sie als Kind selbst Opfer von aktiver Gewalt oder Vernachlässigung war. Sie wiederholt nun als Mutter ihr eigenes Schicksal und gibt die selbst erfahrene Gewalt an ihr Kind weiter. Vielleicht hat sie auch eine starke Ablehnung oder Abwertung erfahren, was Aggressionen erzeugte, die sie nicht verarbeiten konnte. So werden Missachtung, eine mangelnde oder gestörte Bindung und eine vorwiegend negative Einstellung an das Kind weitergegeben. Ein Zusammenhang zwischen
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