MUH!
Kühe gibt, ziehe ich alleine weiter, bis ich welche gefunden habe.»
Hilde wirkte entschlossen, und dies erschreckte mich: Sie war bereit, auf uns alle zu verzichten, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen. Unabhängig davon, wie wahrscheinlich es überhaupt war, auf dieser Welt braun gefleckte Kühe zu finden.
«Egal ob in Indien oder woanders», erklärte Susi leise, «ich lasse nie wieder einen Stier an mich heran.»
Radieschen verwunderte das: «Ich dachte, du wolltest ganz viele haben und ihnen das Herz brechen?»
«Dazu müsste ich sie aber wieder an mich ranlassen», antwortete Susi in einem Ton, der verriet, dass sie dafür nicht mehr die Kraft besaß. Sie war eine Kuh, die von den Stieren benutzt worden war und ihr Herz wohl für lange Zeit niemandem mehr öffnen konnte. Wenn sie es überhaupt jemals schaffen würde. Radieschen stupste sie freundschaftlich an und scherzte: «Wie wäre es dann zur Abwechslung mal mit einer Kuh?»
Sie sagte es so entwaffnend lieb, natürlich ohne es ernst zu meinen, dass sogar Susi leicht schmunzeln musste und ganz ihre Abneigung gegen Kühe, die Kühe lieben, vergaß: «Schlimmer als mit einem Stier kann es nicht sein.»
Champion rief hocherstaunt aus: «Zwei Kühe, die es miteinander machen?!?» Sein Gehirn schaffte kaum, diese Vorstellung zu verarbeiten, jedenfalls nicht, ohne dass ihm die Zunge dabei lüstern aus dem Maul hing. «Irgendwie macht mich das …»
«SAG ES NICHT!», riefen alle Kühe gleichzeitig. Und Champion rollte schnell wieder die Zunge ein.
«Wir sollten schlafen», befand Hilde.
Niemand widersprach, alle waren nach diesem Tag an Bord des Schiffs und von den damit verbundenen Eindrücken erschlagen. So hörten wir zum ersten Mal gemeinsam auf eine Anweisung von Hilde. Wir legten uns hin – ich weiterhin etwas abseits von den anderen –, und jeder hing seinen Gedanken nach. Auch Champion. Während wir unsere Lider zuklappten, hörte ich ihn raunen: «Zwei Kühe, die es miteinander …»
Und die ganze Herde rief im Chor: «KLAPPE, CHAMPION!»
Kapitel 36
In den nächsten Tagen verlief die Reise ruhig, geradezu ereignislos, und das war auch ganz gut so. Kühe waren ja nun mal für ein eintöniges Leben geboren. Es gab Augenblicke, in denen sehnte ich mich sogar danach, ewig so zur See fahren zu dürfen. Indien könnte doch gar nicht friedlicher sein als dieses ewige Schaukeln im unendlichen Meer. Vielleicht könnten wir die Menschen überzeugen, bei ihnen zu bleiben. Sie waren stets freundlich zu uns und genossen offenbar unsere Anwesenheit. Man hatte gar den Eindruck, wir verliehen ihrem Leben einen neuen Sinn.
«Tierpfleger muss ein schöner Beruf sein», stellte der dicke Gesichtsbehaarte gerührt fest, als Radieschen ihn dankbar für die Möhren abschlabberte.
«Viel befriedigender als Matrose, der nur Stofftiere, Bügeleisen oder Panzerfäuste über den Ozean schippert», stimmte der Dünne zu.
«Und viel besser, als von somalischen Piraten bedroht zu werden.»
«Oh ja, das macht vergleichsweise wenig Spaß.»
«Tierpflegern geschieht das auch eher selten.»
«Außer den somalischen vielleicht.»
«Wir sollten umschulen.»
«Ja, das sollten wir. Tierpfleger ist der erste Beruf, bei dem mir kein Gegenargument einfällt.»
Susi lächelte schwach, während sie ein paar besonders saftige Möhren wiederkäute: «Diese Menschen sind netter als unser Bauer.»
Hilde stichelte: «Du kannst echt gut das Offensichtliche feststellen.»
«Wenigstens etwas, was ich gut kann, wenn ich schon mein Leben nicht hinbekomme», erwiderte Susi traurig. Je länger diese Reise dauerte, je weiter wir von unserem alten Zuhause weg waren, desto mehr schien Susi das Leben zu bereuen, das sie bisher geführt hatte.
Hilde bekam nun auch langsam Mitleid mit der Kuh, die sie am allerwenigsten mochte. Und mit diesem Gefühl konnte sie nicht so recht umgehen.
«Susi?», hob sie an.
«Ja?»
«Irgendwie hast du mir besser gefallen, als du einfach nur eine blöde Ziege warst.»
«Ehrlich gesagt, ich habe mir selbst noch nie so richtig gefallen», kam es von Susi zurück. Dabei wirkte sie so schwach und verwundbar, dass Hilde nicht mal spitz «Total verständlich» antwortete, sondern einfach nur schwieg.
Nachts, wenn die Gesichtsbehaarten schnarchten, traute sich auch der Käpt’n zu uns raus. Oft setzte er sich zu mir auf den Boden, lehnte sich an meinen Rücken, kraulte mich dabei hinter dem Ohr und sagte stundenlang gar nichts, sah einfach nur in den
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