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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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englischsprechende Personen und Medien; nicht dazu gehören nach ihrer Sprache Russen, Polen oder Bosnier. Alle Migranten sind aber definitionsgemäß auch mehrsprachig, und deshalb kommt es nicht so sehr darauf an, welche Herkunftssprache nun genau vorliegt. (Russen oder Polen behandeln die deutschen Kasus genauso stiefmütterlich wie andere Migranten). Mehrsprachige und Anderssprachige haben, wie bereits gezeigt, einen prinzipiell anderen Zugang zur Sprachverwendung. Deshalb tendieren sie ohnehin zu Präpositionen statt zu komplizierten Kasus – auch deshalb, weil Präpositionen ‹eindeutiger› sind und dem Alltags-Verständnis mehr entgegenkommen.
    Migranten jedenfalls lösen den ganzen Komplex Kasus/Präposition auf ihre Art. Mehrsprachige gehen intuitiv davon aus, dass das Standardmuster ‹Kasus X› (etwa: ich sage ihm Dank ) im Deutschen nicht die einzige Möglichkeit ist, sondern sich auch mit anderen Varianten – z.B. solchen mit Präpositionen ( ich sage ihn Dank; ich sage Dank an ihn ) abwechseln kann (und dass die grammatische‹Richtigkeit› keine lebenswichtige Entscheidungsfrage ist).
    Zweitens erfassen Migranten schnell, dass es nicht so sehr darauf ankommt, in jedem Einzelfall auch die richtige Präposition zu erwischen. Ob man sagt
    â€“ ich fürchte mich vor deinen Vorwürfen
    â€“ ich fürchte mich vor deine_ Vorwürfe_ oder
    â€“ ich fürchte mich von deine_ Vorwürfe_
    ist für das endgültige Verständnis im Alltag ziemlich unbedeutend. Und es gibt im neudeutschen Alltag auch keine Instanz, keine Situation, in der hier noch groß gewertet wird (von Korrekturen ganz zu schweigen). Deshalb ist die Versuchung immer groß, sich, wenn es geht, auch an einem Modell aus der Herkunftssprache zu orientieren, z.B.:
    â€“ bosnisch: ja se bojim od tvojih prebacivanja ‹ich fürchte mich von deinen Vorwürfen›.
    Das Risiko, hier nicht verstanden zu werden, ist im Neudeutschen bereits sehr gering und wird immer geringer; man kann es vernachlässigen.
    Präpositionen übernehmen also mehr und mehr das Regiment im deutschen Satz – ob bei den Fällen oder beim Verb. Eine allgemeine Auflockerung der Normen und eine mächtige Tendenz zur Abschleifung in der gesprochenen Sprache überhaupt machen es möglich; hinzu kommt ein Absinken der Toleranzschwelle und ein allgegenwärtiges Schnelligkeitsgebot in den gesprochenen Medien. Mit der Zeit stellt sich dann eine wachsende Anpassung auch der deutschen , d.h. im Prinzip einsprachigen Muttersprachler ein, die weitgehend unbewusst vor sich geht. Sie sind mehr und mehr bereit, neue Formen anzuwenden, sie neben den alten bestehen zu lassen und sie irgendwann ganz zu übernehmen. Imitation und ein dunkler Gruppenzwang tun hier zuverlässig das ihre. Und eines darf man nicht unterschlagen: Wenn es immer mehr Varianten gibt, etwas auszudrücken, bildet sich auch das unbewusste Sprachwissen davon zurück, ‹wie es richtig heißt›.
23. DIE WORTGRUPPE UND DIE ENDUNGEN
    Substantive stehen nicht allein im Satz: Sie werden immer mit anderen Wörtern verbunden und bilden mit ihnen eine Wortgruppe, ein Syntagma. Wir hatten gesehen, dass das Deutsche eine flektierende Sprache ist und deshalb alle Glieder einer Wortgruppe miteinander verbindet, z.B. durch Endungen, die einander entsprechen müssen. So ist im folgenden Beispiel die Wortgruppe mit ein em niedlich en Eisbär en durch drei Dativendungen verkettet (‹Kongruenz›, ‹agreement›).
    â€“ Die Kinder spielten im Zoo mit einem niedlichen Eisbären.
    Sehen wir uns das Musterbeispiel näher an:
Die Wortgruppe mit einem niedlichen Eisbären
    Am deutlichsten macht sich der ‹Kongruenzabbau› im ganzen gesprochenen Satz bemerkbar. Die Bild -Zeitung hat vor kurzem einen ‹Test› für ihre deutschen Leser präsentiert, die sich jeweils für ein oder zwei Varianten entscheiden mussten. Das Ergebnis war, dass es von dem Halbsatz mit einem niedlichen Eisbären in der Sprechsprache eine schier unglaubliche Zahl von Varianten gibt: Sie reichen von der hochsprachlich-korrekten Version bis hin zu ungrammatischem Slang. Ich mache eine kleine Liste von oben nach unten und füge einen möglichen ‹Sprecher› hinzu:
    a) mit ein em niedlich en Eisbär en : traditionelles Schriftdeutsch mit intakten Fällen und korrekten Endungen; möglicher
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