Mummenschanz
registrieren lassen und fünf Jahre lang auf einen Platz in der Gosse warten. Wir hielten die Leute in der Gosse für feine Pinkel. Nein, wir hausten im Abfluß. Zusammen mit zwei anderen Familien. Hinzu kam ein Mann, der mit Aalen jonglierte.«
Er seufzte. »Aber ich zog weiter, und immer gab es einen anderen Ort, wo man auf mich wartete, und in Brindisi hatte ich großen Erfolg, und…«
Er putzte sich die Nase, faltete das Taschentuch sorgfältig zusammen und zog ein anderes aus der Tasche.
»Ich habe nichts gegen Nudeln und Tintenfisch«, sagte er. »Jedenfalls nicht viel… Aber man bekommt einfach kein ordentliches Bier, nicht für Geld und gute Worte. Und man gießt Olivenöl auf alles, und von Tomatensoße bekomme ich Ausschlag, und im ganzen Land gibt es keinen anständigen harten Käse.«
Er betupfte sich das Gesicht mit dem Taschentuch.
»Und die Leute sind immer so nett«, meinte er. »Ich dachte, ich könnte mir vielleicht das eine oder andere Beefsteak genehmigen, aber wohin ich auch komme, werden Nudeln serviert, extra für mich. Mit Tomatensoße! Manchmal werden die Dinger sogar gebraten! Und was sie mit den Tintenfischen anstellen…« Er schauderte. »Und dann lächeln die Leute und sehen mir beim Essen zu. Sie glauben, daß sie mir eine Freude machen. Ach, was gäbe ich für eine gebratene Hammelkeule mit gefüllten Mehlklößen…«
»Warum weist du nicht mal darauf hin?« fragte Nanny.
Henry Faul zuckte mit den Achseln. »Enrico Basilica ißt Nudeln, und damit hat sich’s.«
Er lehnte sich zurück. »Interessierst du dich für Musik, Frau Ogg?«
Nanny strahlte und nickte. »Ich kann praktisch jedem Gegenstand einen Ton entlocken, wenn man mir fünf Minuten Zeit gibt, das Objekt zu untersuchen«, sagte sie. »Unser Jason spielt die Violine, und unser Kev bläst die Posaune, und alle meine Kinder singen, und unser Shawn kann praktisch jede beliebige Melodie furzen.«
»Eine sehr talentierte Familie«, bemerkte Enrico. Er griff in eine Westentasche und holte zwei dünne, rechteckige Pappstücke hervor. »Nun, meine Damen… bitte nehmt dies als Zeichen der Dankbarkeit eines Mannes, der die Pasteten anderer Leute ißt. Es bleibt unser kleines Geheimnis, ja?« Er sah Nanny an und zwinkerte verzweifelt. »Das sind Freikarten für die Oper.«
»So ein Zufall!« entfuhr es Nanny Ogg. »Wir wollen nämlich… Au !«
»Vielen lieben Dank«, sagte Oma Wetterwachs und nahm die Freikarten entgegen. »Das ist sehr nett von dir. Wir werden der Oper einen Besuch abstatten.«
»Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet…« Enrico schnaufte leise. »Ich muß Schlaf nachholen.«
»Kein Wunder«, sagte Nanny. »Immerhin mußt du für zwei Personen schlafen: für Henry Faul und für Enrico Basilica.«
Der Sänger neigte den Kopf nach hinten und legte sich das Taschentuch aufs Gesicht. Nach einigen Minuten schnarchte er das zufriedene Schnarchen eines Mannes, der seine Pflicht erfüllt hat und hoffen darf, den beiden recht beunruhigenden alten Damen nie wieder zu begegnen.
»Er ist weggetreten«, stellte Nanny nach einer Weile fest und sah auf die Karten in Omas Hand. »Möchtest du wirklich die Oper besuchen?«
Oma Wetterwachs starrte ins Leere.
»Ich habe gefragt, ob du die Oper besuchen möchtest.«
Oma blickte auf die Freikarten hinab. »Ich schätze, es spielt überhaupt keine Rolle, was ich möchte, oder?«
Nanny Ogg nickte.
Oma Wetterwachs hielt nichts von Fiktion. Sie war der Ansicht, daß das Leben auch ohne frei umherfliegende Lügen schwer genug war. Das Theater stellte gewissermaßen Fiktion in Fleisch und Blut dar, und Oma haßte es. Das war genau die richtige Bezeichnung: Oma haßte das Theater. Aber Haß ist eine Anziehungskraft. Haß läßt sich als umgekehrte Liebe definieren.
Sie verabscheute das Theater nicht, denn in diesem Fall hätte sie einen weiten Bogen darum gemacht. Doch Oma Wetterwachs nutzte im Gegenteil jede Gelegenheit, um ein Reisetheater zu besuchen. Während der Vorstellungen saß sie steif in der ersten Reihe und blickte streng zur Bühne. Selbst beim Kasperltheater ließ sie es sich nicht nehmen, bei den Kindern zu hocken und Kommentare abzugeben wie »In Wirklichkeit geht’s ganz anders zu« und »Sind das etwa gute Manieren?«. Mit dem Ergebnis, daß sich alle Schauspielgruppen der Sto-Ebene vor Auftritten in Lancre fürchteten.
Aber was Oma Wetterwachs wollte, spielte eigentlich keine Rolle. Ob es ihnen gefiel oder nicht: Hexen wurden an den Rand
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