Mummenschanz
Spiegel gewagt, um… Nun, sie wußte nicht so recht, was sie hier zu finden hoffte, aber eins stand fest: Dies war es nicht.
Vielleicht blieb ihr keine andere Wahl, als um Hilfe zu rufen.
Möglicherweise hörte sie jemand. Das war stets die Gefahr, wenn man um Hilfe rief.
Agnes hüstelte.
»Äh… hallo?«
Das Wasser plätscherte.
»Äh… Hilfe? Ist hier jemand?«
Eine Ratte lief über ihren Fuß.
Oh, ja, dachte die Perdita in ihr bitter. Wenn Christine hierhergekommen wäre, hätte sie bestimmt eine große glitzernde Höhle mit romantischen Gefahren entdeckt. Für Agnes hielt die Welt nur Ratten und stinkende Keller bereit. Und weshalb? Wegen ihres guten Charakters.
»Ähm… Bin ich hier ganz allein?«
Weitere Ratten huschten dahin. In den Seitengängen quiekte es leise.
»Hallo?«
Sie stapfte durch finstere Keller. Die Kerze wurde immer kürzer. Die Luft roch unangenehm, die Steinplatten waren glitschig, niemand wußte, wo sie sich befand. Sie konnte hier unten sterben, ohne daß man ihren Leichnam entdeckte. Sie…
Augen glühten in der Dunkelheit.
Eins glänzte grüngelb, das andere perlweiß.
Ein Licht erschien hinter ihnen.
Etwas näherte sich durch den tunnelartigen Korridor. Schatten tanzten über die Wände.
Die Ratten gerieten in Panik, sprangen übereinander, um zu entkommen…
Agnes versuchte, sich in die Mauer zu pressen.
»Hallo, Fräulein Perdita X Nitt!«
Dicht hinter Greebo schwankte eine vertraute Gestalt aus der Finsternis.
Sie schien nur aus Ellenbogen und Knien zu bestehen, trug einen Sack über der Schulter und hielt eine Laterne in der anderen Hand. Etwas floh durch die Finsternis und nahm den Schrecken mit…
»Du möchtest bestimmt nicht allein sein hier unten mit all den Ratten Fräulein Nitt!«
»Walter!«
»Ich muß für Herrn Pfundler einspringen den armen Verstorbenen! Ich bin Mädchen für alles! Das heißt ich bin junger Mann für alles! Es ist nicht leicht! Aber Herr Greebo hier gibt den Ratten nur einen Klaps mit der Pfote und schon sind sie im Rattenhimmel!«
»Walter!« wiederholte Agnes und fühlte sich von tiefer Erleichterung durchströmt.
»Bist gekommen um dich hier umzusehen nicht wahr? Diese alten Tunnel erstrecken sich bis zum Fluß! Man muß sehr aufpassen wenn man sich hier unten nicht verlaufen will! Möchtest du mit mir zurückkehren?«
Es war unmöglich, sich vor Walter Plinge zu fürchten. Walter löste verschiedene Emotionen aus, aber Angst gehörte nicht dazu.
»Äh… ja«, erwiderte Agnes. »Ich habe mich verirrt. Tut mir leid.«
Greebo setzte sich und begann, sich auf eine Weise zu putzen, die Agnes hochnäsig erschien. Sicher hätte er gekichert, wenn er dazu imstande gewesen wäre.
»Jetzt ist mein Sack voll und ich muß ihn zu Herrn Gimlet bringen!« verkündete Walter. Er drehte sich um und trottete los, ohne festzustellen, ob Agnes ihm folgte. »Wir bekommen einen halben Cent pro Exemplar und das ist nicht zu verachten! Die Zwerge halten Rattenfleisch für sehr lecker was nur zeigt wie seltsam die Welt wäre wenn es zwischen uns überhaupt keine Unterschiede gäbe!«
Nach lächerlich kurzer Zeit erreichten sie das untere Ende einer Treppe, die häufig benutzt zu werden schien.
»Hast du jemals den Geist gesehen, Walter?« fragte Agnes, als der junge Mann die erste Stufe betrat.
Er drehte sich nicht um. »Es ist falsch zu lügen!« sagte er.
»Äh… ja, ich glaube schon. Nun… wann hast du den Geist zum letztenmal gesehen?«
»Zum letztenmal habe ich den Geist im großen Zimmer der Ballettschule gesehen!«
»Tatsächlich? Was tat er dort?«
Walter zögerte, dann platzten die Worte aus ihm heraus. »Er lief weg!«
Er stapfte energisch die Treppe hoch und wies damit darauf hin, daß er das Gespräch nicht fortsetzen wollte.
Greebo sah zu Agnes hoch und grinste spöttisch, bevor er seinem neuen Freund folgte.
Nach nur einem Stockwerk endeten die Stufen an einer Tür, die Zugang zum Bereich hinter der Bühne bot. Agnes begriff, daß sie sich nur ein oder zwei Türen von der Realität entfernt verirrt hatte.
Niemand achtete auf sie, als sie aus dem Keller kam. Auch unter anderen Umständen achtete man kaum auf sie. Die Leute gingen einfach davon aus, daß sie zur Stelle war, wenn man sie brauchte.
Walter Plinge drehte sich nicht noch einmal zu ihr um, eilte weiter und verschwand irgendwo zwischen den Kulissen.
Agnes zögerte. Wahrscheinlich würde man sie auch weiter nicht bemerken, bis Christine auf der Bühne den
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