Mundtot nodrm
verborgen war, befand sich jedenfalls keine Botschaft. Wäre Konarek bereits hier gewesen, hätte er mit Sicherheit einen Zettel hinterlassen.
Auf ihn warten durfte Boris nicht. So jedenfalls lauteten die Spielregeln, auf die sie sich im Voraus geeinigt hatten. Konarek hatte großen Wert darauf gelegt, während des Experiments nicht mit der Zivilisation in Kontakt zu treten. Zwar war dieser eiserne Grundsatz offenbar gebrochen worden – aber zumindest Boris wollte sich wenigstens an die Vorgaben halten.
Er deponierte pflichtgemäß neue Akkus und schrieb einen Zettel: »Bin glücklich, dass ich dich wiedergefunden hab. Mach’s vollends gut.« Dann legte er die Kassette unter den Jägersitz zurück und ging zum Geländewagen, der ein paar Schritte entfernt stand.
Er fuhr über mehrere Feldwege in ein Dorf, dessen Namen er nirgendwo lesen konnte, und hielt am Straßenrand an. Nachdem er bereits im Laufe des Tages mit ›radio 7‹ telefoniert und Konareks vorübergehendes Verschwinden mit einer Desorientierung im Gelände begründet hatte, rief er jetzt das Ulmer Studio des Südwestrundfunks an. Eine Sekretärin, die nichts mit seinem Namen anfangen konnte, stellte ihn zu einem Redakteur durch. Dieser gab sich zunächst beleidigt, weil Boris die Meldung über Konareks Auftauchen zuerst dem privaten Konkurrenzsender mitgeteilt hatte. Doch dann schlug er die Aufzeichnung eines Interviews vor.
»Boris«, wurde der Redakteur offiziell, »dieser Lars Konarek, der Survival-Trainer, der sich in zehn Tagen vom Lech zum Hohenstaufen durchschlagen will, ist wieder aufgetaucht. Sogar die Polizei hat nach ihm gefahndet. Was war denn geschehen?«
Boris konzentrierte sich und war aufgeregt. »Wir hatten kurzzeitig den Kontakt verloren, sodass ich aus Sicherheitsgründen die Polizei verständigen musste. Es tut uns natürlich leid, dass wir damit so großes Aufsehen erregt haben. Aber ich konnte nicht ahnen, dass Lars – also Herr Konarek – nur orientierungslos durch die Landschaft geirrt ist.« Boris zögerte, um dann so überzeugend wie möglich zu lügen: »Er hat die Orientierung verloren und ist im Kreis gegangen, bis er wieder einen Pflichtmeldepunkt gefunden hat.«
»Er ist so lange im Kreis gegangen? Über zwei Tage, wenn ich das richtig sehe?«, hakte der Radioredakteur nach.
Boris war für einen Moment irritiert, fing sich aber sofort wieder: »Er hat sich an die selbst gesteckten Vorgaben gehalten, auf keinen Fall die Zivilisation zu Hilfe zu nehmen. Denn Sie wissen ja: Er will beweisen, dass es möglich ist, alles zu schaffen, wenn man’s nur will. Genauso, wie es Bleib …«
Der Redakteur unterbrach ihn forsch. »Wie geht es ihm denn? Hat er genügend Nahrung gefunden?«
Boris fühlte sich in seinen Aussagen beschnitten. »Er lebt und das ist das Wichtigste«, antwortete er deshalb knapp und verärgert.
»Wird er denn pünktlich sein Ziel auf dem Hohenstaufen erreichen?«
»Wenn er auf seinen Willen und auf Gott vertraut, ja.« Boris war stolz auf sich, das Gespräch mit diesen Worten beenden zu können. Aber vermutlich würden sie den letzten Satz ohnehin so zurechtstutzen, dass es nur hieß: »Wenn er auf seinen Willen vertraut, ja.« Gott fand heutzutage in den Medien nicht mehr statt.
Auch in der Arbeitswelt nicht, zuckte es ihm durch den Kopf. Was zählte, war nur Geld. Vielleicht würde ja mit Bleibach alles anders werden.
130
Für Lars Konarek folgte die letzte Nacht. Am Freitagabend hatte er den nördlichen Rand der Schwäbischen Alb erreicht. Obwohl er von seiner Survival-Tour zweieinhalb Tage weggeschummelt hatte, fühlte er sich jetzt an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Das zumindest tagsüber milder gewordene Klima hatte ihm genügend Wasser beschert. Und entlang der Heckenstreifen, denen er auf der Alb gefolgt war, hingen vereinzelt noch Beeren aus dem vergangenen Herbst. Das Hungergefühl, gegen das er in den ersten Tagen angekämpft hatte, war nicht mehr ganz so schlimm. Irgendwie hatte er sich an die spärliche Nahrung gewöhnt. Dafür jedoch merkte er an seiner Hose, deren Gürtel er ein Loch enger schnallen musste, dass sein Körpergewicht geschrumpft war. Er sehnte sich ein warmes Essen herbei, ein Schnitzel oder eine Pizza. Außerdem wünschte er sich, unter einer heißen Dusche stehen zu können. Seine Körperpflege hatte jetzt über eine Woche lang nur an Bächen oder Quellen stattgefunden – mit eisigem Wasser. Das war er zwar gewohnt, weil er sich seit Jahren
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