Mundtot nodrm
da oben.«
»Und dann hängt irgendjemand, wie Sie sagen, einen Mantel mit einem Kuvert in die Garderobe, um die ganze Bleibach-Clique zu beunruhigen. Oder wie soll ich das verstehen? Wenn jemand es auf diesen modernen Rattenfänger abgesehen hat, warum erschießt er ihn dann nicht? Dafür findet sich doch heutzutage sicher ein Killer. Für ein paar Hundert Euro. Einer aus Kasachstan oder so. Kommt her, erledigt seinen Job, und bevor Ihresgleichen auch nur das Geringste unternehmen können, ist der Kerl wieder weg. So liest man das doch in den Zeitungen. Oder entstammt dies alles den kranken Hirnen irgendwelcher Journalisten?«
Häberle wollte nicht darauf eingehen. Stattdessen gab er zu bedenken: »Es gibt in der Tat Kreise, in denen jemand Unruhe stiften will. Deshalb ganz konkret die Frage: Sie kennen ja alle Ihre Mitspieler. Das sind ja hauptsächlich Schüler, Jugendliche, junge Erwachsene. Würde Ihnen denn auf Anhieb einer oder eine davon einfallen, der oder die sich mal in Richtung Bleibach geäußert hat – wie auch immer. Oder jemand, der das Musical über den Barbarossa in irgendeinen Zusammenhang mit Bleibach gebracht hat?«
»Aber ich bitte Sie«, gab sich Patzold entrüstet, »wenn wir uns treffen, geht es um die Inszenierung, um den Auftritt, um das Musical. Und außerdem dürfen Sie mir glauben: Die jungen Leute, die sich hier engagieren, die dies hobbymäßig machen und viel Zeit dafür investieren, hecken garantiert keine wie auch immer geartete Attacke gegen Bleibach aus. Wenn Sie einen solchen Personenkreis suchen, müssen Sie sich im Sumpf umhören – bei denen, die sich nächtelang Wodka oder anderen Alkohol reinkippen und mit dröhnendem Lautsprecher-Getöse, das manche Kreise Musik nennen, und mit pubertärem Imponiergehabe in der Gegend rumlungern.«
Häberle konnte sehr wohl nachvollziehen, was der Mann meinte. »Auch über Hobbys hat man nicht gesprochen?«, kam er wieder auf sein ursprüngliches Anliegen zurück.
»Gesprochen nicht direkt. Ich weiß von den Jungs und Mädels nicht mehr, als was man so gelegentlich und gesprächsweise mitkriegt.«
»Und was haben Sie gesprächsweise mitgekriegt?«
»Sie wollen doch aus so was keine Schlüsse ziehen?«, versuchte Patzold auszuweichen. Häberle verwies darauf, dass oftmals scheinbar belanglose Kleinigkeiten der Schlüssel zum Ermittlungserfolg sein konnten. Doch sein Gegenüber schien davon nicht allzu viel zu halten. »Ich denke, wir müssen uns alle davor hüten, leichtfertig Rückschlüsse zu ziehen.«
Gerade noch, so dachte Häberle, hatte sich der Mann sehr kritisch über Jugendliche geäußert, die nur auf der Straße herumhingen, und jetzt wollte er das Freizeitverhalten in keinem Zusammenhang mit anderen Aktivitäten sehen. Vermutlich hatte er als Künstler eine ganz andere Lebensauffassung als ein erfahrener und altgedienter Kriminalist wie er, Häberle, einer war.
»Ihnen ist also nichts aufgefallen«, resümierte Häberle deshalb leicht gereizt.
»Wissen Sie, Herr Kommissar, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass ein Junge damit geprahlt hat, ein Nahkampftraining absolviert zu haben, dann würden Sie augenblicklich hellhörig und könnten daraus schlussfolgern, dass es sich um einen Rowdy handelt, dem ohnehin alles zuzutrauen wäre. Nein, nein, Herr Häberle, so einfach läuft das nicht.«
Der Ermittler überlegte einen kurzen Augenblick, ob er es riskieren konnte, eine weitere Frage zu stellen, ohne dass der Mann noch abweisender reagieren würde. »Es gibt also einen solchen Jungen«, stellte er zögernd fest.
»Sehen Sie, ich wusste es. Schon glauben Sie, eine Spur zu haben, an die Sie sich klammern können.«
Häberle lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Jeder macht seinen Job, so gut er kann«, blieb er gelassen. »Und jeder ist auf das Verständnis des jeweils anderen angewiesen.« Er holte tief Luft. »Und wenn Sie mir jetzt den Namen sagen, dann erfährt niemand – und ich versichere es Ihnen –, es erfährt niemand etwas davon, dass ich ihn von Ihnen habe.«
Patzold sah ein paar Sekunden aus dem Fenster. »Okay«, gab er sich seufzend geschlagen, »wenn’s der Gerechtigkeit dient. Er heißt Boris. Boris Seifried. Und ist eigentlich gar kein Schüler des Gymnasiums.«
20
Joanna Malinowska war an diesem Tag nach München gefahren, um ein Sondierungsgespräch mit einem Gewerkschaftsvertreter zu führen. Im Vordergrund sollte die Ausarbeitung eines neuen Manteltarifvertrags in mittelständischen
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