Mundtot nodrm
gar nichts mit diesem Fall zu tun haben – und trotzdem möchte ich sie Ihnen stellen.« Er ließ ein paar Sekunden verstreichen und besah die kirschbaumfarbene Schrankwand, auf deren Regalen abgegriffene Bücher standen – darunter auch ein großer Bildband, auf dem vorne ein knallroter US-Truck zu sehen war, und ein Buch über Sportschützen. Neben dem Möbelstück hing eine hölzerne, reich bemalte Zielscheibe, die einige Einschusslöcher aufwies und wohl die Trophäe eines Schützenfestes gewesen war.
»Ihr Mann hat vergangene Nacht sehr viel Werbematerial von diesem Bleibach geladen gehabt. Gibt es denn irgendeinen Kontakt zwischen Bleibach und Ihrem Mann? Ich meine«, so versuchte Häberle schnell, seine Frage zu begründen, »Bleibach wohnt in Hohenstaufen, das ist nicht gerade weit von hier.«
»Bleibach«, wiederholte die Frau und hob eine Augenbraue. »Alle reden nur noch von Bleibach. Im Fernsehen, im Radio und jetzt auch noch Sie. Wieso sollte mein Mann ihn persönlich kennen? Er ist Fernfahrer, ein ganz kleiner Fernfahrer. Arbeiter. Einer von denen, die gar keine Zeit haben, sich um so etwas zu kümmern. Mein Mann muss Geld verdienen. Wir haben einen Sohn. Er absolviert gerade eine Lehre auf dem Bau.« Ihre Stimme klang verbittert. »Eigentlich hat er ins Gymnasium gewollt, aber Jens hat gemeint, eine Handwerkerlehre wäre besser, um schnell Geld verdienen zu können. Wissen Sie, Herr Kommissar, so leicht kommen wir nicht über die Runden. Ich versuche, mit einem 400-Euro-Job etwas dazu beizutragen.«
Häberle war ihr für den Hinweis auf den Sohn dankbar. »Ihr Sohn geht nicht ins Gymnasium?«, stellte er fest. »Aber er ist doch im Musical ›Barbarossa‹ aufgetreten.«
»Das wissen Sie?«, staunte die Frau und wurde für einen Moment sprachlos. »Sie spüren uns nach?«
»Keine Sorge«, entgegnete Häberle und hob beschwichtigend die Hände. »Das hat sich durch Zufall so ergeben. Es hat wirklich nichts zu bedeuten. Rein gar nichts.« Er setzte sein sympathisches Lächeln auf. »Wir haben zufällig in einer anderen Sache ermittelt«, versicherte er erneut, »und da hat jemand erzählt, dass einige Darsteller in dem Musical gar nicht zum Gymnasium gehören.«
»Wie gesagt, Boris hätte das Zeug dazu gehabt. Er hat viele Freunde, die aufs Gymnasium gehen – und so hat sich das mit dem Musical halt ergeben. Boris ist musisch und künstlerisch begabt und beschäftigt sich gern mit philosophischen Dingen. Manchmal ist er auch ein bisschen abgehoben.« Ihr war anzumerken, dass es ihr nicht leichtfiel, darüber zu reden. »Die Lehre auf dem Bau macht ihm schwer zu schaffen.«
»Und sportlich ist er wohl auch«, ließ Häberle einfließen.
»Auch das wissen Sie?« Barbara Seifried wurde jetzt misstrauisch.
»Alles nur nebenbei erfahren. Er interessiert sich wohl für fernöstliche Nahkampftechniken – wie Ihr Mann. Sie haben dies meinem Kollegen in Neu-Ulm gegenüber angedeutet. Er sagt, Sie hätten sich gewundert, dass er sich bei dem Überfall nicht zur Wehr gesetzt hat, obwohl er doch gerade einen Nahkampfkurs absolviere.«
»Ach so.« Die Frau schien erleichtert zu sein. »Das stimmt, ja. Zuerst hat Jens damit angefangen – mein Mann. Und jetzt auch Boris.«
Häberle fragte eher beiläufig: »Wo absolviert man denn solche Kurse?«
»In Ulm. Brauchen Sie die Adresse?«
Häberle bejahte und ließ sich Namen und Anschrift des Trainers geben. Schließlich war er selbst Judoka-Lehrer und persönlich an diesem Mann interessiert. »Darf ich fragen, weshalb Ihr Mann auf diese Sportart gekommen ist?«
Sie zögerte. »Weshalb?«, echote sie und wurde wieder misstrauisch. »Fragen Sie ihn doch selbst. Wenn jemand wie er immer allein mit dem Lastwagen unterwegs ist – in Südfrankreich, Spanien und so –, da macht es Sinn, sich im Notfall verteidigen zu können. Finden Sie nicht?«
»Deshalb ist er auch im Schützenverein?«, hakte Häberle unerwartet nach.
»Schützenverein? Das wissen Sie auch schon?«
Häberle deutete wortlos auf die Trophäe an der Wand.
»Ach so, ja. Er war mal Schützenkönig oder wie das heißt. Ist aber schon länger her. Er hat gar nicht mehr die Zeit dazu.«
»Hatte er denn schon mal Schwierigkeiten – unterwegs?«
Sie zögerte. »Entschuldigen Sie bitte, aber dazu möchte ich nichts sagen. Fragen Sie ihn selbst.«
25
Für Bleibach war’s, als nähme er ein Bad in der Menge. Viertausend Menschen hatte er an diesem kalten Novemberabend auf die Beine
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