Mundtot nodrm
anredete, obwohl er diesen seit seiner Ankunft in Coober Pedy nie benutzt hatte – zumal sich ein Umlaut nur schwer schreiben ließ –, steigerte sein Misstrauen.
»Ich denke, wir können ruhig Deutsch miteinander reden«, schlug der Unbekannte vor.
Greenman zögerte. »Und wer sind Sie?«
»Ein Freund«, kam es zurück. »Oder besser gesagt: Jemand, der es gut mit Ihnen meint. Der ein Angebot für Sie hat.«
»Jetzt – um diese Zeit?« Greenman hatte zwar in all den Jahren, seit er hier war, noch keine unliebsamen Bekanntschaften gemacht, doch erschien es ihm trotzdem ratsam, angesichts der spätabendlichen Stunde Vorsicht walten zu lassen.
»Ja, um diese Zeit«, echote der Unbekannte, »ich soll Ihnen Grüße bestellen – Grüße von jemandem, der Ihnen sehr nahesteht. Oder besser gesagt: Von einer Frau, die Ihnen sehr nahesteht.«
Greenman stutzte. Er spürte plötzlich, wie sein Herz schneller zu pochen begann. Von einer Frau? Sagte der Kerl ›von einer Frau‹?
Die Stimme im Hörer nahm einen Flüsterton an: »Sie wollten doch schon immer einen australischen Pass, Herr Grüninger. Habe ich recht?«
Greenman fühlte sich wie vom Blitz getroffen.
33
Bleibach war kreidebleich. Hatte er die Anstrengungen der zurückliegenden Wochen und Monate noch vergleichsweise leicht weggesteckt, so war die Facebook-Botschaft der vergangenen Nacht wie ein Tiefschlag gewesen. Es schien ihm, als habe ihn seine Vergangenheit auf grausame Weise eingeholt. Plötzlich war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Doch statt Erleichterung über eine plötzliche Erkenntnis, senkte sich ein düsterer Vorhang auf sein Gemüt. Joanna. Es war Joanna. Die strohblonde Frau, deren Anwesenheit ihn bei vielen seiner Kundgebungen verunsichert hatte, war Joanna. Natürlich. Sein Schwarm aus glücklichen Studentenzeiten. Joanna, die mit ihren Eltern aus Polen übergesiedelt war, hatte ihm für einige Monate den Kopf verdreht. Doch wie in den wilden jungen Jahren das Leben so spielte, hatten ihre Karriereziele sie beide in unterschiedliche Richtungen geführt. Und weil es damals noch nicht die heutigen elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten gegeben hatte, war irgendwann der Kontakt abgebrochen. Immer seltener dachte er noch an sie. Er war Realist genug, um zu wissen, dass man nicht vergangenen Gefühlen nachtrauern sollte, weil sich nicht nur Menschen, sondern auch deren Sympathien ändern konnten. Wer selbst an Vergangenem festhielt, vergaß oft genug, dass andere damit schon längst abgeschlossen hatten.
Aber Joanna – sie war wirklich aufregend und erfrischend direkt gewesen, intellektuell und romantisch gleichermaßen. Aufgeschlossen für alles und mit einem Lächeln, das ihn dahinschmelzen ließ. Vielleicht waren es das Lampenfieber und die Aufregung gewesen, die seine Erinnerung blockiert hatten. Aber aus der Tatsache, dass sie ihm in der Masse der Zuhörer aufgefallen war, schloss Bleibach, dass sie noch immer sein Unterbewusstsein beschäftigte.
»Wie lange ist das her?«, riss ihn die Stimme Miriams aus diesen Gedanken.
»Ich schätze mal, 15 Jahre«, antwortete er langsam. Weder sie noch Lars Konarek oder Enduro Ollerich hatten ihn jemals mit so schwacher Stimme reden hören. »Aber ich sag’s euch noch mal«, fuhr er fort, nachdem keine der drei anderen Personen, die in den weit ausladenden Ledersesseln seines Wohnzimmers versunken waren, etwas von sich gegeben hatte, »ich habe sie nicht vergewaltigt. Niemals. Ich schwöre euch das.« Bleibach holte tief Luft. »Sie hätte das doch sonst schon früher angezeigt – und nicht erst jetzt. Oder wie seht ihr das?«
Miriam blickte ihn mit versteinertem Gesicht von der Seite an. Sie blieb sachlich. »Und dass sie’s tut, hat sie dir vergangene Nacht per Facebook mitgeteilt? Einfach so?«
»Wie ich doch sage. Aus heiterem Himmel. Da verfolgt sie mich seit Wochen von einer Veranstaltung zur anderen – und plötzlich fällt ihr ein, sie könnte mich anzeigen.«
»Da steckt was ganz anderes dahinter«, kommentierte Konarek, der wie ein gebändigtes Energiebündel in seinem Sessel hin- und herrutschte. »Man will dich fertigmachen. Solche Beispiele gibt’s doch immer wieder.«
Ollerich stützte nachdenklich sein Kinn mit der linken Faust ab. »Auch wenn an so was nichts dran ist. Manchmal reicht’s, ein Gerücht in die Welt zu setzen, um jemanden fertigzumachen. ›Waidwund schießen‹ nennt man das.«
»Deshalb hat sie wohl um ein Gespräch mit mir
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