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Mundtot nodrm

Mundtot nodrm

Titel: Mundtot nodrm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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weit, Evelyn. Und steinig und hart. Gegen einen Bundestagswahlkampf ist das, was wir jetzt machen, ein Ministranten- oder Konfirmandenausflug, je nachdem, wie du’s sehen willst.«
    »Aber die Zahl deiner Fans steigt doch täglich.«
    »Und die der Gegner aber auch.«
    »Ach was.« Sie nahm noch einen Schluck Sekt. »Du sagst doch immer, du gehst deinen eigenen Weg. Du bist schon ein Riesenstück vorwärts gekommen. Geh ihn weiter. Wer sich nur nach anderen orientiert, geht im Kreis oder schlägt Purzelbäume, wie man das unserer derzeitigen Kanzlerin so gerne nachsagt. Geh deinen Weg. Und wenn er sich als falsch erweisen sollte, dann hast du es wenigstens versucht. Denn du gehst ihn, weil es dir wichtig ist. Aber selbst dann, wenn er in eine Sackgasse mündet, dann war es zumindest den Versuch wert. Und du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, es nicht wenigstens probiert zu haben.«
    Er mochte es, wenn sie so sprach. Das tat sie immer, wenn sie ein bisschen beschwipst war. Dann verflogen die Hemmungen, die sie manchmal vor ihm hatte, weil sie glaubte, nicht so gut formulieren zu können wie er.
    »Du stehst auf der Seite derer, die Veränderungen wollen, die mit dir optimistisch in die Zukunft gehen möchten. Du bist für sie ein kleiner Messias.«
    »Bitte nicht«, wiegelte er ab. »Ich mag das Wort nicht. Ich bin zu dem geworden, was ich bin – weil ich mir immer treu geblieben bin, verstehst du? Vielleicht hab ich das Glück der passenden Gene gehabt – und eines günstigen Umfeldes –, vor allem auch einer Zeit, die für meine Gedanken reif ist. So, wie es auch eine Zeit für das Böse gibt – und das haben wir in diesem Land mehr als genug erlebt –, so gibt es auch eine Zeit für das Gute.«
    Sie überlegte, um dann spontan etwas zu sagen, womit er nicht gerechnet hätte: »Prediger, Kapitel drei, Verse eins bis acht.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du so bibelfest bist«, stutzte er. »Was steht da eigentlich – bei diesem Prediger?« Er sah sie verwundert an.
    »›Ein jegliches hat seine Zeit‹ steht da. Ist übrigens das einzige Bibelzitat, das ich mir gemerkt habe, weil es in vielen Lebenslagen passt.«
    Bleibach wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er wollte es daher bei einer allgemeinen Bemerkung belassen: »Es ist erstaunlich, wie viele Bibelzitate zu unserem modernen Leben passen.« Auch er griff in seinen Reden gelegentlich darauf zurück – um damit zu dokumentieren, dass er das Land trotz aller Weltoffenheit und Globalisierung in die christlich-abendländische Kultur eingebunden sehen wollte. Er war nicht nur ein Verfechter der regionalen Identität, sondern vertrat, wo immer es ging, die Überzeugung, dass ein friedliches Zusammenleben nur möglich war, wenn sich die Menschen gegenseitig akzeptierten und tolerierten – vor allem aber nicht versuchten, sich in Traditionen anderer Länder und Regionen einzumischen oder sie gar zu irgendetwas zu ›bekehren‹. Wer es vorzog, in anderen Kulturkreisen zu leben, durfte dies tun – doch sollten dabei die dortigen Gefühle, Traditionen und Gesetze respektiert werden.
    Gerade, als er Evelyn dies alles sagen wollte, unterbrach ihn der Signalton seines iPhones. Damit wurde eine Nachricht über das soziale Netzwerk Facebook angekündigt.
    »Fanpost«, schmunzelte Evelyn. Es war seit Wochen immer wieder dasselbe. Wenn er sein Gerät nicht abgeschaltet hatte, kamen regelmäßig Botschaften – überwiegend positiver Art, aber natürlich auch Beschimpfungen und bisweilen Drohungen.
    Er entschuldigte sich und fingerte nach seinem iPhone, das sich in der Innentasche seines Jacketts befand, das er über einen Stuhl gehängt hatte. Flink drückte er einige Tasten und las die Meldung. Dabei wich die Freude über den gelungenen Abend schlagartig aus seinem Gesicht. Er las die Sätze noch ein zweites Mal, während Evelyn ihm anmerkte, dass es offenbar keine positive Fanpost war.
    Bleibach schluckte, blieb für einen Moment regungslos stehen und wusste nicht, ob er jetzt die Wahrheit sagen sollte.

29
     
    Häberle hatte den voradventlichen Abend mit seiner Frau Susanne bei einem Gläschen württembergischem Wein – einem Trollinger mit Lemberger – verbracht. Im Schein einiger Kerzen, die in Gestecken mit Tannenreisig flackerten, waren sie gemeinsam die Ereignisse der vergangenen Tage durchgegangen. Häberle fühlte sich in dieser Atmosphäre geborgen. Er war seiner Frau unendlich dankbar, dass sie in all den Jahrzehnten das Interesse an

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