Mundtot nodrm
vernünftig darüber nachdenken, müsste ihm doch klar sein, dass eine Frau mit diesem Aussehen, wie sie es ihm vorspielte, ein derartiges Versteckspiel nicht nötig hatte. Aber wann waren Männer schon vernünftig, wenn ihre Hormone im Gehirn die Macht ergriffen hatten?
Aus den unzähligen Chats mit ihm wusste Miriam, wo seine Vorlieben lagen. Sie grinste deshalb in sich hinein, als sie tippte: ›Du kannst dich auf etwas gefasst machen. Die Handschellen liegen schon bereit.‹
36
Max Greenman, wie er sich in Australien nannte, hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Das Gespräch mit dem eloquenten Deutschen war zwar ruhig und äußerst sachlich verlaufen, doch jeder Satz erschien im Nachhinein wie eine schicksalhafte Fügung. »Denken Sie in Ruhe darüber nach«, hatte der Mann abschließend gesagt. »Es bleiben Ihnen noch ein paar Wochen bis zum Jahreswechsel. Aber eines ist dringend geboten: Reden Sie mit keinem Menschen darüber. Mit keinem.«
Greenman hatte sich ein paar Notizen gemacht, die er jetzt, bei einer Tasse Kaffee, flüchtig überflog, ohne sie wirklich in sich aufnehmen zu können. Vorausgesetzt, das Angebot des Besuchers war seriös gemeint – sofern man dies überhaupt so nennen konnte –, dann hatte es weitreichende Folgen. Es würde kein Zurück mehr geben. Andererseits bräuchte er nicht mehr zu arbeiten – und er wäre möglicherweise auch am Ziel all seiner privaten Träume. Und wenn man davon ausging, dass die Frau, die ihm seit Monaten nicht mehr aus dem Kopf ging, dies alles mittrug. Am liebsten hätte er sie sofort angerufen oder ihr eine Mail geschickt – aber auch dies war ihm untersagt. Dass solche Kontakte gefährlich sein könnten, hatte der Mann vergangene Nacht mehrfach betont. Und es hatte in Greenmans Ohren so drohend geklungen, dass er es nicht wagte, gegen diese Anweisung zu verstoßen.
Andererseits, so hämmerte es in seinem Gehirn, hatte er nichts Konkretes in der Hand. Der Mann blieb auch nach dem zweistündigen Gespräch für ihn ein Fremder. Und ob er tatsächlich Petro Sallinger hieß, wie er behauptet hatte, war mehr als fraglich. Er hinterließ keine Kontaktadresse und keine Telefonnummer – und als er das Haus verlassen und Greenman ihm heimlich nachgeblickt hatte, um wenigstens vom Fenster aus ein Fahrzeug zu erkennen, da war eine dunkle Limousine mit ausgeschalteten Scheinwerfern aufgetaucht und hatte den Mann aufgenommen. Für Greenman war es, als sei ein Phantom in der Nacht verschwunden.
Je mehr er darüber nachdachte und aus dem Fenster in den sonnenhellen Tag hinausstarrte, desto unheimlicher schien ihm die Begegnung. Sallinger hatte sich verdammt gut über seine persönlichen Verhältnisse informiert gezeigt. Vieles davon konnte kein Mensch hier in Australien wissen. Es musste alles fein säuberlich recherchiert worden sein – und zwar direkt in Deutschland. Sogar sein kurzes politisches Engagement gegen die Atomkraft hatte Sallinger anklingen lassen. Nur beiläufig zwar, aber sicher ganz gezielt, um zu unterstreichen, wie genau er seinen Gesprächspartner kannte. Greenman versuchte, sich an jede Bemerkung zu erinnern. Denn plötzlich hatte er das Gefühl, Sallinger habe das Wichtigste gar nicht ausgesprochen, sondern immer nur dezent zwischen den Worten Signale gesendet. Vielleicht, so überkam es Greenman, war er längst ins Visier irgendwelcher Geheimdienste geraten – unbewusst und völlig arglos. Er sprang auf und hätte beinahe die Kaffeetasse vom Tisch gefegt. Mit einem Mal glaubte er, hinter dem geheimnisvollen Ansinnen seiner Geliebten ein finsteres System zu erkennen. War sie es, die tatsächlich Grund hatte, jegliche Kommunikation vorübergehend abzubrechen? War sie die Informationsquelle von Sallinger? Mit einem Schlag gewann eine weitere Bemerkung, die der Fremde gemacht hatte, eine völlig neue Bedeutung. »Facebook«, so hatte er gesagt, als das Gespräch scheinbar unbeabsichtigt auf die heutigen Telekommunikationsmittel gekommen war, »eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, etwas über die Welt und ihre Menschen zu erfahren.« Und noch eine Feststellung fiel Greenman jetzt ein: »Sie brauchen doch nur den Namen von jemandem bei ›Google‹ einzugeben und Sie wissen, wo er sich engagiert, können auf seine Hobbys und Neigungen schließen, auf seine politische Gesinnung und seinen Beruf – und Sie erfahren, ob er schon mal irgendwie und irgendwo in die Schlagzeilen geraten ist.«
Diese Feststellung war für Greenman zwar nichts
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