Mundtot nodrm
nachgesucht – wie du mir gestern gesagt hast«, stellte Miriam fest. »Sie hat doch was von ›existenzieller Bedeutung‹ für Steffen erwähnt – entsinne ich mich da richtig?«
Ollerich nickte. Erst jetzt fiel ihm die leichte Hautabschürfung an Miriams Kinn auf. Sie hatte offenbar versucht, eine Verletzung mit Make-up zu kaschieren.
»Haben wir eine Kontaktadresse?« Miriams Stimme ließ ihm keine Zeit für Überlegungen.
»Nein, sie wollte sich wieder melden.«
»Erpressung«, überlegte Konarek laut. »Sie will uns erpressen.«
»Oder sie geht gleich zur Polizei«, gab Bleibach zu bedenken und schloss erschöpft die Augen. Er wollte gar nicht daran denken, was dies für seine Karriere bedeuten würde. Möglicherweise sperrten sie ihn auch gleich ein. Wer konnte schon wissen, welche politischen Fäden in der Justiz gezogen wurden?
35
Miriam Treiber war nach dem Gespräch mit den drei Männern auf dem direkten Weg von Hohenstaufen nach Staig gefahren. Aufkommender Nieselregen und Nebelbänke hatten sie an diesem düsteren Novemberabend ausgebremst. Erst nach knapp einer Stunde erreichte sie ihr schmuckes Einfamilienhaus, dessen Erdgeschossfenster mit stabilen Gittern gesichert waren. Auch die Haustür war mit zusätzlichen Verriegelungen ausgestattet. Zwar wäre im Normalfall in diesem dörflichen Idyll abseits des Illertals kaum etwas zu befürchten gewesen, doch angesichts dessen, womit sie sich beschäftigte, erschien es ihr geboten, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Auf dem Weg zum Eingang spürte sie wieder diesen Schmerz im linken Knie, der sie seit einigen Tagen plagte. Sie hatte sich in Bleibachs Wohnung allergrößte Mühe gegeben, sich nichts anmerken zu lassen.
Bevor sie die Tür aufschloss, warf sie prüfende Blicke auf die nur mäßig beleuchtete Umgebung. Doch da gab es nichts, was ihr verdächtig erschien. Sie hatte ohnehin darauf geachtet, dass ihr von der Autobahn bis hierher niemand gefolgt war.
Während sie das Türschloss entriegelte und im Flur das Licht anknipste, verspürte sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder ein unsicheres Gefühl. Sie ließ die Tür ins Schloss fallen, schob einen mechanischen Riegel vor und atmete zunächst einmal tief durch. Alles, was sie von Bleibach und Ollerich erfahren hatte, war in Verbindung mit ihren eigenen Erlebnissen dazu angetan, sie erheblich zu beunruhigen. Wenn es da tatsächlich eine Frau gab, die dem aufstrebenden Politiker ausgerechnet jetzt eine 15 Jahre zurückliegende Vergewaltigung anlasten wollte, dann steckte mehr dahinter, als das verspätete Bedürfnis nach rechtlicher Genugtuung oder Rache. Mit Konfrontationen hatten sie natürlich von Anfang an gerechnet, aber wenn nun die Staatsanwaltschaft ins Spiel kam, nahm die Sache eine völlig neue Dimension an. Dann galt es, noch vorsichtiger zu agieren.
Miriam Treiber warf ihren Mantel an den Garderobenhaken, zog die Stiefeletten aus und knipste auch die Lichter für die Treppe zum Untergeschoss an, wo sich ihre Arbeitsräume befanden. Dort musste sie nacheinander zwei mit Sicherheitsschlössern versehene Türen aufschließen, um in jenen Raum zu gelangen, dessen Regale und Schränke mit Computermonitoren, Laptops und unzähligen elektronischen Geräten nahezu vollgestopft waren. Überall glimmten rote und grüne Lichtpunkte, mit denen Stand-by-Funktionen oder Akku-Ladezustände angezeigt wurden. In der Luft lag das Rauschen einiger Kühlungsgebläse. Umgeben von dieser ganzen Technik stand ein Schreibtisch, der unter der Last von Akten, Kabeln und Datenträgern zu ächzen schien.
Miriam streifte sich die schulterlangen Haare hinters rechte Ohr, wie sie es immer tat, wenn sie konzentriert arbeitete. Ein schneller Blick auf einen der angeschalteten Monitore verschaffte ihr Gewissheit, dass ein pulsierender violetter Punkt auf einem Stadtplan offenbar seinen Endpunkt erreicht hatte. Sie war zufrieden und wandte sich dem Computer auf dem Schreibtisch zu. Mit einer Bewegung der drahtlosen Maus erweckte sie den Bildschirm zum Leben, sodass sie sich mit einem Passwort rasch in das E-Mail-Programm des Providers AOL einloggen konnte. Dort, so war es vereinbart, konnten sie mit monatlich wechselnden Alias-Namen im Notfall kurze, unverfängliche Botschaften austauschen, deren Bedeutung nur der jeweilige Empfänger erkannte. Sie tippte mit zehn Fingern flink in die Tasten, was sie dem Adressaten, der seinen fiktiven Namen ebenfalls in genau festgelegtem Turnus wechselte, dringend
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