Mundtot nodrm
mitteilen wollte: »Die Kiste Barbarossawein ist beim Transport zerbrochen. Erbitte eine Ersatzlieferung bis spätestens Anfang Februar.« Mit einem Mausklick war die Nachricht versendet – und mit einem weiteren sofort auf dem Rechner gelöscht. Anschließend meldete Miriam auch den benutzten Alias-Namen ab – genau, wie vereinbart. Der Name galt nun als verbraucht. Es war jedoch vorgeschrieben, sofort einen neuen Account anzumelden, dessen Bezeichnung sie aus einer vorliegenden, allerdings verschlüsselten Liste chronologisch entnehmen konnte.
Als sei ihr erst jetzt die Tragweite der übermittelten Botschaft bewusst, lehnte sie sich mit einem tiefen Seufzer in dem Bürostuhl zurück. Alles würde anders werden. Aber jetzt schien dies dringend geboten zu sein.
Sie rollte mit ihrem Bürosessel zu einem schmalen Tischchen hinüber, auf dem ein weiterer Computer stand, dessen schwarzer Bildschirm sich bei einer Bewegung der Maus aufhellte. Sie war als ›Lunaluder‹ in einen der Chatrooms einer renommierten Partnervermittlung eingeloggt, die jeden Geschmack und jede Neigung bediente. Miriam vermochte sich entsprechend zu verstellen und im Laufe einer Nacht an mehreren Computern mit unterschiedlichen Alias-Namen in die verschiedensten Rollen zu schlüpfen. Mal war sie die Romantisch-Zärtliche, dann der feminine Abenteuer-Typ oder, wenn’s sein musste, die Anhängliche, die eine feste Bindung suchte. In den vergangenen Monaten hatte sie ein ausgesprochenes Talent darin entwickelt, auf die Wünsche der Männer einzugehen. Sie konnte das Schulmädchen spielen oder die Redewendungen einer energischen Domina gebrauchen. Und wenn es sein musste und ihr virtueller Partner auf Vulgäres stand, beherrschte sie notfalls auch diesen Wortschatz. Insgeheim tat es ihr leid, diesen Job irgendwann aufgeben zu müssen. Denn diesen Teil ihrer Arbeit empfand sie als Hobby, ja, sie konnte sich bei diesen nächtelangen Rollenspielen sogar entspannen, wenngleich sie dabei wachsam sein musste. War sie mit vier und mehr Männern in verschiedenen Chatrooms beisammen, musste sie sich sogar darüber Notizen machen, wem sie was geschrieben hatte.
Als der Bildschirm hell wurde, konnte sie die Auflistung der zurückliegenden ›Plaudereien‹ lesen. Weil sie dort permanent eingeloggt und ihr Computer angeschaltet war, wurde sie als anwesend registriert – mit der Folge, dass ihr virtueller Partner ›Herkulesspanner‹ sie schon mehrfach gebeten hatte, sich zu melden.
›Bin wieder da‹, tippte sie auf der Tastatur und sogleich tauchte diese Botschaft mit dem Absender ›Lunaluder‹ zwischen dem Geschriebenen anderer Teilnehmer auf. Allein schon ihr Alias-Name sollte suggerieren, dass sie in einschlägigen Kreisen als ›aufgeschlossen‹ galt und – wie sie es in ihr Chatprofil geschrieben hatte – bereit war, ›alles mitzumachen, was beiden Freude bereitet‹.
Dieser ›Herkulesspanner‹, den sie dank einiger Hinweise endlich aufgespürt hatte, saß offenbar nächtelang vor dem Computer. Auch wenn sich der Mann als 38-Jähriger ausgab und sich bisher geweigert hatte, ein Foto zu schicken, kannte sie sein wahres Alter. Wenn sie selbst um ein Bild gebeten wurde, zierte sie sich anstandshalber, ließ sich dann aber doch erweichen und mailte eines von jenen, die sie dafür zur Verfügung hatte. Auf keinem davon war sie jedoch selbst abgebildet. In Wirklichkeit handelte es sich um Fotos von dafür engagierten Models, die sich über ein fürstliches Honorar freuen durften. Miriam konnte auf eine große Bilderauswahl zurückgreifen – für jeden Typ, für jedes Alter. Vor allem aber auch in unterschiedlichen Posen und Kleidungen. Diesem ›Herkulesspanner‹ hatte sie vor einigen Tagen das Foto einer blonden 25-Jährigen gemailt, die in einem kurzen Strandkleidchen auf einer Kaimauer saß. Dass dieses Outfit ganz nach dem Geschmack des Mannes war, zeigte sich an seiner Reaktion: Die Mails wurden erotischer und er schien danach zu lechzen, diese Frau zu treffen. Doch Miriam verstand es trefflich, ihn von einem Tag auf den anderen zu vertrösten. Dies hatte zur Folge, dass er mit seinen Fantasien nicht hinterm Berg hielt – obwohl auch er seinen wirklichen Namen nicht verraten wollte. Dafür sei er viel zu bekannt, argumentierte er. Deshalb wolle er erst beim persönlichen Treffen seine Identität preisgeben. Miriam hegte Zweifel, ob es Frauen gab, die sich auf solch ein Verhalten einließen. Würde der Mann auch nur eine einzige Sekunde
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