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Mundtot nodrm

Mundtot nodrm

Titel: Mundtot nodrm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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einzugeben. Augenblicke später hatte er unter dem Stichwort-Treffer ›Der erste Brief an die Korinther‹ das gesuchte Zitat gefunden. Er zog den Text mit Zeige- und Mittelfinger auf dem Touchscreen-Monitor größer und las: ›Lasst euch nicht irreführen. Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten.‹ Er überflog das Zitat noch einmal, um es sich einzuprägen, schaltete das iPhone ab und steckte es wieder ein. Dann riss er ein paar Blätter von der Toilettenpapierrolle und drückte die Spülung, um den Männern, die draußen an den Urinalen standen, etwas vorzutäuschen, was er nicht getan hatte. Er wartete noch ein paar Sekunden, verließ dann die Kabine, grüßte die Umstehenden freundlich und wusch sich die Hände. Dabei riss ihn eine Stimme hinter ihm aus den Gedanken: »Haben Sie eigentlich keine Angst – so ganz ohne Aufpasser aufs Klo zu gehen?« Der Dialekt verriet Berliner Abstammung.
    Bleibach schaute in den Spiegel, um den Fragesteller zu sehen. Es war ein stoppelhaariger Pulloverträger, Mitte 30 vermutlich. »Wieso sollte ich?«, fragte Bleibach selbstbewusst und wandte sich zum Warmluftgebläse des Händetrockners. »Wir sind doch heute unter uns.«
    »Na ja – nun vergessen Se mal nich, dass es überall Menschen jibt, die enem andern was Böses woll’n.«
    Ein älterer Herr, der von den Urinalen kam, mischte sich spontan ein: »Ich an Ihrer Stelle wäre lieber vorsichtig. Woher wollen Sie denn so sicher sein, dass wir keine Verräter in unseren Reihen haben?«
    Bleibach musste an das denken, was er gerade gelesen hatte: ›Lasst euch nicht irreführen‹.

80
     
    Als der Airbus durch die dichte, graue Wolkenschicht in den blauen Himmel gestiegen war, atmete Bleibach durch. Er hatte allerdings schon oft gelesen, dass Urlaub ein untauglicher Versuch war, Sorgen hinter sich zu lassen. Ungelöste Probleme reisten immer mit. Als die Flughöhe erreicht war und das Flugzeug auf Südost-Kurs einschwenkte, sah Bleibach aus dem Fenster – hinab auf diese Wolkenschicht, die so sanft und schwerelos anmutete, als könne sie alles unter einem barmherzigen Mantel des Vergessens verschwinden lassen. Er hatte die neugierigen Blicke im Warteraum des Gates und vorhin beim Einsteigen ignoriert. Natürlich war er von vielen Passagieren erkannt worden, obwohl er sich wie ein Tourist gekleidet hatte: Olivgrüne Hose, dazu die passende Jacke und eine leicht getönte Brille mit einfachem Fensterglas. Die hatte er sich vor einigen Monaten schon zugelegt, um nicht sofort als Steffen Bleibach erkannt zu werden.
    Durch sein Gehirn jagten tausend Gedanken. Je mehr er ihrer Herr werden wollte, desto weniger ließen sie sich in Zaum halten. Er erinnerte sich daran, dass ihm ein Psychologe einmal erklärt hatte, wie man gedanklichen Ballast durch Autosuggestion abwerfen konnte: Indem man sich vorstellte, sie wie Müll in ein Paket zu schnüren und sie in einem reißenden Gebirgsbach zu versenken. Ganz bildhaft, ganz intensiv musste man dies vor dem inneren Auge sehen.
    Bleibach konzentrierte sich darauf, dachte an Joanna Malinowska und ihre Vergewaltigungsanzeige, und stellte sich die Ermittlungsakten vor, die Protokolle und die Vernehmung – und dann steckte er alles in dieses Paket. In Gedanken formte sich ein wilder, reißender Gebirgsfluss, in den er es von einer Brücke hineinwarf. Dass ihn die Stewardess fragte, was er zu trinken wünsche, nahm er nicht mehr wahr. Seine beiden Sitznachbarn, ein älteres Paar, ließen ihn schlafen.
    Irgendwo überm Mittleren Osten gab’s ein Essen, das er lustlos zu sich nahm, um anschließend gleich wieder einzuschlafen. Den Stopp in Singapur, zwölf Stunden nach dem Start in Frankfurt, nutzte er, um sich die Beine zu vertreten. Hier, im internationalen Airport, in dem sich die Wege von Menschen aus aller Welt kreuzten, fühlte er sich befreiter. Je weiter er von zu Hause weg war, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er erkannt wurde.
    Als er weitere zehn Stunden später in Sydney seine Koffer in Empfang nahm, sehnte er sich nach einer heißen Dusche und einem Bett. Das Hotel, in das ihn ein Taxi brachte, erfüllte diese Ansprüche – und er verfiel in einen achtstündigen traumlosen Schlaf. Zuvor hatte er Evelyn und Enduro Ollerich noch eine SMS geschickt. Nach einem ausgiebigen Frühstück stellte er fest, dass das Hotel unweit des Bondi-Beaches stand, wo er in der heißen Sommersonne einen langen Spaziergang unternahm. So war also ›Down-Under‹, wie die Australier ihren

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