Mundtot nodrm
Auto ließ sich zurückfallen und hielt die ursprüngliche Distanz wieder ein. Wer, verdammt noch mal, konnte in dieser gottverlassenen Gegend wissen, dass er heute diese Etappe fahren würde?, schoss es ihm durch den Kopf. Und noch waren es über 250 Kilometer bis Glendambo.
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Linkohr war innerlich gespalten. Sein Rendezvous mit Joanna Malinowska in dem Hotel in Temmenhausen hatte er nach dem Essen zu einem schnellen Ende gebracht. Plötzlich war ihm in seiner Haut nicht mehr wohl gewesen. Natürlich konnte es sein, dass die Waffe, die er gesehen hatte, eine Schreckschusspistole war und er wieder einmal die Chance seines Lebens versemmelte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, mit Häberle darüber zu reden – doch wie hätte er denn das Treffen mit ihr plausibel, vor allem aber dienstlich erklären sollen? Tausend Mal hatte ihn Häberle in den vergangenen Jahren ermahnt, sich unter keinen Umständen von weiblichen Zeugen oder Tatverdächtigen ›scharfmachen zu lassen‹. Und nun war er möglicherweise wie ein Anfänger den Reizen dieser Frau erlegen.
Oder vielleicht doch nicht, beruhigte ihn seine innere Stimme. Vielleicht hat sie’s ja wirklich ernst gemeint. Ach, hättest du sie doch lieber gleich auf die Waffe angesprochen. Du Idiot. Du Versager. Linkohr war in den Tagen danach morgens verschwitzt aufgewacht und hätte sie am liebsten sofort angerufen. Doch er blieb über eine Woche standhaft, um kurz vor Weihnachten doch noch schwach zu werden. Er erreichte sie auf ihrem Handy und glaubte an ihrer Stimme zu hören, dass sie sich über seinen Anruf freute. Allerdings sei sie über die Feiertage nach Polen gereist. »Schade, das hätten wir auch gemeinsam machen können«, hauchte sie. »Aber du hast ja keine Zeit.«
Linkohr atmete schwer. Keine Zeit. Alle seine Verflossenen hatten ihm dies vorgeworfen. Keine Zeit.
»Wir haben doch ausgemacht, dass wir übers Dienstliche nicht reden«, beeilte er sich zu sagen. »Sonst hätte ich dir neulich gesagt, dass ich mich gerade schwertue.«
»Du tust dich schwer? Mit mir?« Es klang vorwurfsvoll.
»Nein, nicht mit dir, Joanna. Mit meinem Job.«
»Dann lass uns doch wieder treffen«, schlug sie spontan vor. »Ich bin Mitte Januar wieder zurück.«
Linkohr hatte sich gegen das Bauchgefühl nicht wehren können. Die ganzen Feiertage über, die er mit Bereitschaftsdiensten und ab und zu mit Besuchen von Freunden und Verwandten verbrachte, hatte er an Joanna denken müssen – obwohl ihm bei einer Silvesterparty die Schwester eines alten Bekannten ins Auge gestochen war.
Die ersten Wochen des neuen Jahres verliefen jedoch derart glücklos, dass er es bereits als schlechtes Omen für die nächsten zwölf Monate wertete. Auch im Dienst wollte es nicht gut laufen. Wenigstens hatte Baldachin ihm angekündigt, dass er sich mit Häberle noch bis zu der großen Frühjahrskundgebung Bleibachs um dessen Umfeld kümmern sollte. Alle Versuche, sich auch mit den festgefahrenen Ermittlungen im Mordfall Seifried auseinandersetzen zu dürfen, prallten aber an Baldachin ab. »Schmittke ist da dran«, war meist die stereotype Antwort, die keinen Widerspruch duldete.
Dass Häberle sich so einfach ausbremsen ließ, empfand Linkohr als seltsam. Nie zuvor hatte er den Chefermittler derart zurückhaltend erlebt. Allerdings hatte der Jungkriminalist noch immer einen Satz im Ohr, den Häberle bei der dezernatsinternen Weihnachtsfeier gesagt hatte: »Merkt euch: Hunde, die bellen, beißen nicht.« Erst mit Verzögerung war den Kollegen bewusst geworden, was dies im Umkehrschluss heißen musste: ›Wer seine Klappe hält, kann viel bissiger sein.‹ Darauf angesprochen, hatte Häberle nur gegrinst.
Und jetzt war der Tag im Januar gekommen, dem Linkohr entgegengefiebert hatte. Er würde sich von Joannas erotischen Bemerkungen nicht mehr ablenken lassen. Er musste sie aus der Reserve locken. Vielleicht war er es, der all diese Merkwürdigkeiten auflösen konnte. Er, der Romeo-Agent.
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Vielleicht beging er schon wieder einen Kardinalfehler. Aber hätte er das Angebot Joannas abschlagen sollen, sie in ihrem Appartement in Neu-Ulm zu besuchen? Hätte er dieser Verlockung widerstehen sollen – nur, weil er möglicherweise ein übereifriger junger Kriminalist war? Außerdem war er Manns genug zu wissen, wie weit er gehen konnte. Welche Rolle Joanna auch immer spielte, jetzt hatte er die Chance, dies allein herauszubekommen. Damit ihm niemand vorwerfen konnte, Privates und
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